Hallo,
zum Thema Meinung.
Ich hatte ja bereits geschrieben, dass der weit überwiegende Teil der Missbrauchstaten, wobei ich damit in diesem Zusammenhang nur von sexuell motiviertem Missbrauch, aber nicht von physischem oder psychischem Missbrauch ohne sexuelle Komponente spreche, im näheren Umfeld eines Kindes geschieht. Im Vergleich dazu ist die Zahl der "Sexmonster", wie sie von Bild und RTL gerne genannt werden, gering.
Dennoch richtet sich zur Zeit das gesamte Augenmerk der Öffentlichkeit auf eben jene Täter, und auf das Internet, in dem sie angeblich hauptsächlich ihr Unwesen treiben. Es werden Einschränkungen gefordert, und es werden härtere Strafen gefordert, wobei jede Forderung der Öffentlichkeit momentan auf einer Steilvorlage dieser beiden Medien beruht, und wer das kritisiert, läuft Gefahr, als "auf der Seite der Täter stehend" abgeurteilt zu werden.
Auf die Sinnhaftigkeit dieser Forderungen gehe ich in einem weiteren Post ein. Zunächst einmal möchte ich gerne beim Thema Meinung bleiben.
Es ist wichtig, sich momentan vor Meinung, auch seiner eigenen, zu hüten. Es ist wichtig, dass, was Bild und RTL verbreiten und fordern, zu hinterfragen. Denn momentan ist Meinung stark gefühlsgetragen, und die Gefühle, die sie tragen, werden von der Deutungshoheit einiger weniger beeinflusst, denen es möglicherweise vorrangig um andere Ziele geht: um politisches Kapital. Um Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Oder aber auch darum, Unterstützer für einen konkreten Fall zu finden. Wir können und dürfen uns deshalb nicht von dieser Deutungshoheit abhängig machen lassen.
Denn die Meinung, die von dieser Deutungsmacht befohlen wird, ändert sich, je nach Thema, und sie widerspricht sich dadurch auch: Da werden radikale Einschnitte in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte gefordert. Dort wird eine Mutter, der die Kinder weg genommen werden, von jedem Fehlverhalten frei gesprochen (ich erwähne das, weil mir der Fall gerade noch frisch ist). Diese beiden Medien nehmen die Rolle von Anklägern, Richtern und Vollstreckern in einem ein, und sehr viele Menschen folgen ihrem Urteil, ohne es zu hinterfragen - die Bilder sprechen für sich.
Aber sie erzählen uns nur einen kleinen Teil der Realität:
Der wahre, am weitesten verbreitete Missbrauch passiert hinter verschlossenen Türen. Durch Menschen, denen das Kind zum Schutze befohlen wardt. Und auch hier ist immer wieder ein interessantes Phänomen zu beobachten: Die Deutungsmacht über die öffentliche Meinung erlangt der, der am lautesten brüllt, der Interviews gibt, und Tränen vergießt, und bloggt und twittert und sich auch in Foren wie diesem über Behördenwillkür beschwert, und dann sind Gerichtsurteile, vor allem Harte, plötzlich irrelevant, oder zu hart. Ich erinnere mich da konkret an einen Thread hier, in dem die Lebensgefährtin eines Mannes gepostet hatte, der, wenn ich mich recht erinnere, einen Vater hat, der wegen Kindesmissbrauchs an seiner Enkelin verurteilt worden war, weshalb das Kind nicht bei seinem Vater leben darf. Die Dame regte sich darüber auf - und bekam sehr viel Zustimmung von Menschen, die ein paar Threads weiter dann die Todesstrafe für Kinderschänder forderten.
Ich schreibe das nicht, um zu kritisieren, sondern um deutlich zu machen, wie sehr stark veränderbar Meinungen zu diesem Thema sind, je nachdem, aus welchem Blickwinkel es von wem betrachtet wird.
Problematisch ist das, weil es eine informierte Diskussion ausschließt, die in wirklich hilfreiche Maßnahmen münden könnte - die Gefahr, dass auf Grund unserer momentanen Gefühlslage zu einem Thema Dinge unternommen werden, die uns zwar beruhigen, aber den Opfern nicht helfen, ist groß. Und die Gefahr, dass wir durch unsere Unterstützung für die eine oder die andere Sichtweise in einem Fall einen Täter noch befeuern, ist es auch. Denn Sexualtäter haben grundsätzlich ein besonderes Merkmal: Ihr Schuldbewusstsein ist, wenn es überhaupt vorhanden ist, vermindert (womit ich nicht die Schuldfähigkeit meine). Gerade in einer Zeit, in der ihr Verhalten in der westlichen Welt zunehmend lauter verdammt wird, suchen sie nach Zustimmung und auch Gründen, warum es akzeptabel ist, dass sie so sind, wie sie sind, und so handeln, wie sie handeln. Und sie klammern sich dann daran, und benutzen es als Rechtfertigung für weitere Taten.
Viele Grüße,
Ariel