500 Euro für jedes Kind
VAMV-Konzept für eine Kindergrundsicherung
Seit vielen Jahren fordert der VAMV die Umsetzung einer Kindergrundsicherung. Im Jahr 2000 ging er mit mehreren Verbänden, darunter der Deutsche Kinderschutzbund und der Deutsche Frauenrat mit der Kampagne „Was sind dem Staat die Kinder wert?“ in die Politik. Beantwortet hat das Bündnis die Frage mit: „Ein Taschengeld!“ und spielte damit auf die unzureichende Höhe des Kindergelds an. Damals war die Forderung ein Existenz sicherndes Kindergeld. Die große Diskrepanz zwischen Kindergeld und den tatsächlichen Kosten für Kinder hat sich seit 2000 noch vergrößert. Das Kindergeld ist eine Rückzahlung zuviel gezahlter Steuern und zum Teil auch eine Förderleistung für Familien, die keine oder wenig Steuern bezahlen, weil ihr Einkommen entsprechend gering ist. Das Kindergeld entspricht aber in seiner Höhe nicht dem sächlichen Existenzminimum und ist aufgrund seiner Verankerung im Steuerrecht auch nicht für jedes Kind gleich hoch (siehe Tabelle).
Die Armutsquote bei Kindern steigt von Jahr zu Jahr. Das bestehende System des Familienlastenausgleichs schafft es nicht, dies zu verhindern. Der Ansatz, über eine Kindergrundsicherung mehr und nachhaltig zu erreichen, was im jetzigen Rechtsgefüge nicht möglich ist, wird von immer mehr Befürworter/innen getragen. Es gibt in der Ausgestaltung und Refinanzierung unterschiedliche Vorschläge, das Prinzip ist jedoch jeweils das Gleiche: Nur eine Kindergrundsicherung, die sich in ihrer Höhe am offiziell errechneten Grundbedarf ausrichtet, kann Kinder langfristig aus der Armut holen. Der Grundbedarf für Kinder beziffert sich auf rund 500 Euro – das hat der siebte Bericht der Bundesregierung über das Existenzminimum von Kindern für 2009 errechnet. Das Existenzminimum enthält folgende Komponenten:
1. Sachbedarf: z. B. Ernährung, Bekleidung, Miete
2. Betreuungsbedarf: Wert der allgemeinen Betreuung durch die Eltern unabhängig von konkreten Aufwendungen (Kosten)
3. Erziehungsbedarf: Förderung der persönlichen Entwicklung des Kindes und der Begegnung mit anderen Kindern z.B. Vereinsbeiträge, Kursgebühren
4. Ausbildungsbedarf: z. B. Lernmittel, Fahrtkosten, Studiengebühren
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber das sächliche Existenzminimum von Steuern freistellen. Das wird gegenwärtig mit dem Kindergeld und dem Kinderfreibetrag im Einkommensteuerrecht geregelt. Zusätzlich gibt es den Freibetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung. Die Steuerfreibeträge wirken sich je nach Einkommen und Familienstand unterschiedlich aus. Der VAMV kritisiert die Systematik der Entlastung von Familien aufgrund von Kindern im Steuerrecht: Kinder werden nicht alle gleich, sondern gemessen am Einkommen ihrer Eltern behandelt. Der VAMV ist davon überzeugt, dass die Existenzsicherung des Kindes eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Familie ist schon lange kein Ort der finanziellen Absicherung mehr. Das belegen die steigenden Armutsquoten in der offiziellen Statistik. Für Kinder von Alleinerziehenden ist insbesondere auch die unzureichende Zahlung von Unterhalt Ursache für eine überdurchschnittliche Inanspruchnahme von SGB II-Leistungen. Kinder haben nach Auffassung des VAMV in sozialen Transferleistungen keine gleichberechtigten Teilhabechancen. Die Kindergrundsicherung ist als Investition in die Zukunft zu sehen – nicht als aktuelle Sicherung des lebensnotwendigen Bedarfs. 500 Euro für jedes Kind
1. Alle Kinder, die einen Anspruch auf Kindergeld haben, erhalten statt des Kindergeldes eine staatliche Grundsicherung in Höhe von 500 Euro im Monat. Dieser Betrag soll unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden und steuerfinanziert sein. Der Anspruch gilt für Kinder bis zu 27 Jahren.
2. Die Kindergrundsicherung erhalten auch Jugendliche, die sich in Ausbildung befinden. Für die Zeit der Ausbildung kann die Leistung durch ein Darlehen in Höhe von bis zu 250 Euro monatlich ergänzt werden. Ausbildungsvergütungen sind nach Abzug eines Freibetrages auf die Kindergrundsicherung anzurechnen.
3. Anspruchsinhaber der Kindergrundsicherung ist das Kind. Diese Leistung ist als Einkommen des Kindes zu werten. Das bedeutet, dass sie weder im SGB II noch im SGB XII oder bei Bezug anderer Fürsorgeleistungen auf das Einkommen der Eltern angerechnet werden darf.
4. Die Forderung nach der Kindergrundsicherung tritt neben die Forderung des VAMV nach einem flächendeckenden kostenlosen Kinderbetreuungsangebot von Geburt an. Es geht eben nicht um ein „entweder oder“ von Leistungen, sondern um „sowohl als auch“.
5. In der Kindergrundsicherung sollen alle kindbezogenen Transfers wie Sozialgeld, Kindergeld, Unterhaltvorschussleistungen, Kinderzuschlag, BAFÖG usw. zusammengefasst werden und in diese Leistung einfließen.
6. Die Kindergrundsicherung hat Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht. Sie soll auf den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Kindes angerechnet werden. Die Grundsicherung für Kinder ist jeweils hälftig bei beiden Elternteilen anzurechnen. Damit wird sichergestellt, dass ein finanzieller Interessenausgleich zwischen den getrennt lebenden Eltern stattfindet. Im Übrigen bleiben Unterhaltsansprüche gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil bestehen. Dies betrifft sowohl den Sonder- und Mehrbedarf, als auch den über 250 Euro hinausgehenden Anspruch auf Kindesunterhalt.
7. Die Finanzierung der Kindergrundsicherung soll insbesondere über eine Bündelung aller kinderbezogenen Transferleistungen und einer Abschaffung des Ehegattensplittings erfolgen. Die vertikale Steuergerechtigkeit wird bei einer steuerfinanzierten Leistung über die Tarifprogression erreicht, d.h. Steuerzahler/innen mit hohen Einkommen zahlen entsprechend mehr Steuern
in das System und leisten somit auch einen höheren Beitrag zur Grundsicherung für Kinder.
Die Einführung einer Kindergrundsicherung hat folgende Vorteile:
• Alle Kinder werden aus dem stigmatisierenden Bezug von SGB II befreit.
• Kinder werden unabhängig von ihrer Herkunft und der Familienform, in der sie leben, gefördert. Sie erhalten eine familienpolitische Leistung, die allen Familien in Deutschland zugute kommt.
• Der VAMV erwartet eine deutliche Konfliktentschärfung zwischen getrennt lebenden Eltern im Bereich des Unterhaltsrechts. Streitigkeiten werden vor allem in den unteren und mittleren Einkommensbereichen vermieden, weil der Grundbedarf des Kindes durch die Kindergrundsicherung gedeckt ist. Für Kinder ist der Wegfall dieser Streitigkeiten von großer Wichtigkeit für ihr Wohlbefinden.
• Der VAMV erwartet eine deutliche Reduzierung von Unterhaltsprozessen, wodurch die Familiengerichte entlastet werden. Diese Entlastung wiegt deswegen umso schwerer, da im Bereich des Mangelfalls oft lange gestritten und gerade bei der Anrechnung fiktiven Einkommens die Urteile häufig ins Leere laufen.
• Eine Entlastung mit erheblichen finanziellen Einsparungspotentialen ist für alle Institutionen und Behörden zu erwarten, die mit kindbezogenen staatlichen Transferleistungen befasst sind, wenn die bisherigen unübersichtlichen Leistungen sich in einer Einzigen bündeln. Eine unbürokratische Auszahlung ohne komplizierte Antragstellung ist anzustreben. Vergleich Entlastung durch Kindergeld, Kinderfreibetrag und Freibetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung (2009) und Kindergrundsicherung
Elterneinkommen bis 67.000 Euro jährliches zu versteuerndes Einkommen
pro Kind 164 Euro mtl. Kindergeld + 54 Euro mtl. Freibetrag für Betreuung, Erziehung oder
Ausbildung (Steuersatz 30 Prozent) = 218 Euro
Elterneinkommen ab 67.000 Euro (11 Prozent aller Eltern)
pro Kind 210 Euro mtl. Kinderfreibetrag + 75 Euro mtl. Freibetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung (Steuersatz 42 Prozent = 285 Euro
Kindergrundsicherung = 500 Euro pro Kind
Die 2 am häufigsten gestellten Fragen zur Kindergrundsicherung:
1. Warum soll die Kindergrundsicherung unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden?
Antwort VAMV: Im Vordergrund steht der Grundsatz: Alle Kinder sind gleich. Das schreibt auch das Grundgesetz vor. Anspruch auf die Grundsicherung haben die Kinder, nicht die Eltern. Die Eltern tragen mit ihren Steuerzahlungen indirekt mehr oder weniger zur Finanzierung der Kindergrundsicherung bei. Wer keine Steuern zahlt: das Kind erhält 500 Euro. Wer 30 oder 42 Prozent Steuern auf sein Einkommen zahlt, hat entsprechend seiner Leistungsfähigkeit mit seinen Steuern zur Gesamtfinanzierung beigetragen: das Kind erhält 500 Euro.
2. Kommt die Kindergrundsicherung bei den Kindern an?
Antwort VAMV: Häufig wird den Eltern unterstellt, sie würden das Kindergeld für Zigaretten, Alkohol und Elektroartikel verkonsumieren, daher sei die Gefahr des Missbrauchs bei einer Grundsicherung für Kinder in Höhe von 500 Euro besonders groß. Diese Annahme lässt sich nicht bestätigen: Eltern setzen das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, zum Wohle und zur Förderung ihrer Kinder ein, das weisen aktuelle Studien nach ( z.B. Nürnberg 2008 ). 500 Euro sind das soziokulturelle Existenzminimum, das heißt, sie decken den Grundbedarf von Kindern. Die tatsächlichen Kosten von Kindern sind viel höher.