Kompliziert -  So macht unsere Schule die Kids kaputt....

rehanurse

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Seit der Hessenwahl und der Schlappe für Koch ist öffentlich geworden, welcher Unmut sich in der Schulpolitik gegen G 8, das Abitur nach 12 Jahren angestaut hat. Wieder einmal wie auf Kommando wird Schulstress zum Thema der konservativen Leitmedien. BILD eröffnete mit Reinhold Beckmann „Schulen überfordern unsere Kinder“ und schiebt einen Schulreport nach. Auch die FAZ alarmiert: „Hände weg von unserer Kindheit“ und das Boulevard-Blatt für die selbsternannte Intelligenz, der SPIEGEL plädiert: „Besser lernen ohne Hausaufgaben“. Es sind genau diese Kreise, die zuvor jahrelang dagegen polemisiert haben, dass in Deutschland die Ausbildungszeiten zu lang seien, und die Kampagnen für kürzere Schul- und Studienzeiten inszeniert haben.

Ein 24-Jähriger, verheiratet, zwei Kinder, Promotion und möglichst zwei Jahren Auslandsaufenthalt, dass war bis vor Kurzem die Karikatur einer idealen Berufseinstiegsbiografie. Jahrelang wurde die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur beklagt und der frühere Berufseintritt in anderen Ländern als vorbildlich propagiert. Ohne auch nur einen Gedanken darüber zu verschwenden, welches Niveau die Schulabschlüsse in anderen Ländern haben. Hauptsache mit 17 oder spätestens 18 Jahren Abitur, das war die Devise.
Die angeblich so schildkrötenhaft langsame Kultusministerkonferenz hat dem Druck nachgegeben und flächendeckend das Abitur nach 12, statt bisher 13 Jahren eingeführt.

Nun merken auch unsere „Eliten“, vor allem diejenigen, die noch schulpflichtige Kinder haben und sie nicht an eine Privatschule abgegeben haben, was damit ihren Kindern angetan wird.

Die Verkürzung der Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre (G 8) ist ein typisches Beispiel, wie im letzten Jahrzehnt Bildungsreformen durchgesetzt werden.

Bertelsmann lässt in einem Ranking die Verweildauern in den verschiedenen Bildungsbereichen vergleichen [PDF - 944 KB] mit dem Ergebnis, dass im internationalen Vergleich überwiegend der Sekundarbereich nach 12 Jahren abgeschlossen wird.
Die in Deutschland zu langen Schul- und Ausbildungszeiten werden als „Nachteil im internationalen Wettbewerb“ [PDF - 148 KB] hochgespielt.
Ein Verkürzung der Ausbildungszeit sei notwendig, um die demografische Entwicklung einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft aufzufangen und außerdem seien die zu langen Ausbildungszeiten ja auch ursächlich für die „ungewollte Kinderlosigkeit“ und damit für die niedrige Geburtenrate.
In der gesamten Debatte um die Verkürzung der Schulzeit spielten pädagogische oder bildungspolitische Argumente kaum eine Rolle.

Wie bei der Einführung der Bachelor Studiengänge ging es auch bei G 8 nahezu ausschließlich um das betriebswirtschaftliche Kalkül der Intensivierung und der Verkürzung, kurz um die Effizienz der Ausbildung. Es wurden „workflow“-Kalkulationen angestellt, aber kaum jemand stellte die Frage nach den Bildungszielen in einer bestimmten Ausbildungsphase, geschweige denn, dass über Faktoren der außerschulischen „Bildung“, etwa durch Sport, Musik oder sonstiges Engagement reflektiert wurde.

Die Kultusministerkonferenz hat sich mit Lern-„Standards“ und mit der Vergleichbarkeit von Abiturzeugnissen beschäftigt; der Vorschlag ein bundesweites Zentralabitur einzuführen, scheiterte eigentlich nur am Länderegoismus. Bertelsmann bot ein Evaluationsprogramm zur Steigerung der Schulqualität nach dem anderen an. Kein Schulkind blieb ungetestet. Um bloß keine inhaltlichen Reformen angehen zu müssen, wählte man die einfachste Methode, man setzte Standards und lud die Last auf die Schüler und die Lehrer ab.

Eine Debatte darüber, wie der Lehrstoff statt in 9 künftig in 8 Jahren bewältigt werden sollte, fand bisher kaum statt. Im Gegenteil, die Diskussion ging vor allem darum, wie man zusätzliche Lernziele, wie Medienkompetenz, früherer Fremdsprachenunterricht oder Wirtschaftskunde in die Curricula einbauen sollte. Wie die Lehrpläne möglichst so gestaltet werden könnten, dass im Rahmen der Ideologie von der „eigenverantwortlichen Schule“ auch noch ein Wechsel der Schule innerhalb einem Land oder gar zwischen den Bundesländern ohne ein „Sitzenbleiben“ möglich bleiben sollte, darüber hat sich kaum jemand Gedanken gemacht.

Bildungspolitik bestimmt von Betriebswirten und von Wettbewerbsfetischisten zeigt nun offenbar ihre Wirkung: Zunehmend mehr geraten Schulkinder unter Schulstress und zeigen entsprechende Symptome. Die Mehrzahl der Schulkinder kommt ohne elterliche oder kommerzielle Nachhilfe nicht mehr zurecht. Kinder mit sozial bedingten Bildungsnachteilen, werden immer stärker selektiert. Die Klagen über die Qualität der Schulausbildung nehmen zu. :(

Nun wird die „schlampige Schulreform“ kritisiert, es werden die Eltern in die Verantwortung genommen oder es wird die mangelnde Belastbarkeit der Schüler beklagt.
Auf den naheliegendsten Gedanken, endlich wieder einmal Pädagogen um Rat zu fragen, kommt kaum jemand. :shake

Dies vielleicht auch deshalb nicht, weil es kaum noch Pädagogen gibt. Sie sind in den letzten Jahren von den Test- und Evaluationsexperten und von den Schulmanagementfachleuten verdrängt worden. :nanana

Der Unmut, der sich über die Schulausbildung zusammengebraut hat, wird sich darin ein Ventil verschaffen, dass diejenigen, die es sich leisten können, ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken, wo sie bessere Lernbedingungen als an staatlichen Schulen vorfinden.
Das ist - zwar nicht für den Steuerzahler aber für die Kultusbürokratien - die „billigste“ Lösung.

Wenn daneben aber ein öffentliches Schulwesen noch eine Chance haben soll, ist es allerhöchste Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik. Einen Wechsel dahin, dass die Betriebswirte und die ökonomischen Effizienzfanatiker endlich wieder auf die Ersatzbank versetzt werden und in Deutschland endlich wieder eine Debatte über Bildungsziele und Bildungsinhalte und vor allem auch über pädagogische Konzepte stattfindet.

Der verstorbene Bundespräsident, Johannes Rau, :anbet hat noch während seiner Amtszeit ein Buch veröffentlicht, in dem er für eine neue Bildungsreform plädiert hat. Der Titel ist: „Den ganzen Menschen bilden – wider den Nützlichkeitszwang“.
Dieser Aufruf ist aktueller denn je.
 

Nanami

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Bin ganz deiner Meinung

So sehe ich es auch, Rehanurse - wir wohnen auch in München.
Übrigens, am Samstag den 26. April ist eine Demo in Nürnberg (weil Beckstein dort herkommt??)
Hier die Info:

Demo für Bayern


Ich blogge seit Oktober, um den 4.Klass-Frust loszuwerden unter
4klassebayern.blogger.de

Traurig ist, dass selbst, wenn durch Druck aus der Bevölkerung die Zustände verbessert werden, dies so lange dauert, dass unsere Kinder nichts mehr davon haben.
 

rehanurse

rehanurse
ja, das ist traurig..., aber so wars schon immer..., siehe Numerus Clausus - eingeführt-abgeschafft-eingeführt-abgeschafft... :shake

oder die Kopfnoten -eingeführt-abgeschafft-eingeführt-abgeschafft-... :rolleyes:

Je nachdem, wer sich gerade wieder profilieren muss..... :whatever

Irgendwen riffts immer, der gerade das Zuckerl, oder die Peitsche kriegt..

Und keiner da oben verschwendet einen Gedanken daran, dass dieses für manches Schülerseelchen die Vernichtung seiner Zukunftsperspektive bedeutet... :(

Andererseits: Allen Menschen Recht getan, ist auch ne Kunst, die Niemand kann...
 
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