Scheidungskinder müssen auf ihre Rechte pochen
Dortmund/Ulm (dpa/gms) - Im Märchen herrschen klare Fronten: Die Stiefmutter ist immer die Böse, und jeder ist froh, wenn sie das Weite sucht. Im richtigen Leben läuft das anders. Scheidungskinder können bei Problemen keine Zauberhexe rufen.
Sie müssen sich mit den neuen Partnern ihrer Mutter oder ihres Vaters auseinandersetzen. Das funktioniert dann am besten, wenn sie Probleme offen ansprechen - und zugleich die Vorteile der neuen Situation anerkennen.
Wenn Vater oder Mutter einen neuen Partner haben, ist das zunächst ein ganz schöner Schock. Egal wie nett der neue Mann oder die neue Frau sein mag - und selbst wenn man es den Eltern vom Kopf her gönnt: Die oft gehegte Hoffnung, dass es für die «echten» Eltern ein Zurück gibt, ist zerplatzt. «Jetzt wird meist die Endgültigkeit der Entscheidung bewusst und die Enttäuschung noch einmal gesteigert», sagt Berthold Ebel, Erziehungsberater aus Dortmund.
Leider kapieren die Eltern oft nicht, dass die neue Situation für die Tochter oder den Sohn ein Problem sein kann. «Manche Erwachsene machen es sich sehr einfach», weiß Lothar Steurer, Pädagoge beim Kinderschutzbund in Ulm. Sie wollen «Normalfamilie spielen», wie es die Familiensoziologin Anneke Napp-Peters ausdrückt - und übersehen dabei völlig, dass sie ihren Kindern damit keinen Gefallen tun. Schließlich kann der neue Partner nicht einfach «der neue Papa» sein. Das muss er auch gar nicht.
Dehalb heißt es für Jungen und Mädchen, den Kontakt zum «echten» Vater oder zur «echten» Mutter aufrecht zu erhalten - vorausgesetzt, sie wollen das überhaupt. Notfalls müssen sie die Erlaubnis, diesen Kontakt weiter pflegen zu dürfen, einfordern: «Es ist wichtig, die Sicherheit zu haben, dass der oder die Ausgezogene nicht verloren geht», betont Anneke Napp-Peters.
Wer sich den Kontakt erkämpft hat, steht oft vor einem weiteren Problem: Der frisch verliebte Vater oder die neue verbandelte Mutter will ihn über das Leben des Ex-Partners ausquetschen. Das kann auf Dauer anstrengend sein - und sollte in diesem Fall rigoros abgelehnt werden: «Damit will ich nichts zu tun haben, macht euren Käse unter euch aus!» - deutliche Antworten sind laut Berthold Ebel erlaubt.
Genauso schwierig wie die Beziehung zum abwesenden Elternteil kann das Verhältnis zum neuen Partner sein. Eifersucht spielt dabei eine Rolle: «Vorher stand der Jugendliche im Mittelpunkt, jetzt stiehlt ihm jemand die Show», sagt Eveline von Arx vom «Dr.-Sommer-Team» der Zeitschrift «Bravo» in München.
Als Eindringling wird der neue Partner gesehen - und in vielen Fällen ist das nicht einmal aus der Luft gegriffen, weil sich konkret etwas geändert hat im Zusammenleben: «Die Eltern haben vielleicht nicht mehr so viel Zeit. Lieb gewonnene Rituale können wegfallen.» Wem das zu schaffen macht, der muss den Vater oder die Mutter darauf hinweisen. «Sagt ruhig, was euch bisher besonders wichtig war», rät Eveline von Arx.
Wenn der oder die Neue auch noch zu Hause einzieht, fliegen häufig endgültig die Fetzen. Schließlich bleibt es zum Beispiel nicht aus, dass der «Eindringling» hin und wieder Vorschriften macht. «Das ist eine Gratwanderung, die Zeit braucht», sagt Eveline von Arx. In dieser heiklen Situation sei es wichtig, klare Fronten zu schaffen. Jungen und Mädchen dürften notfalls durchaus sagen: «Du bist der Freund meiner Mama, aber ich habe schon einen Vater.» Unter Umständen muss die leibliche Mutter oder der leibliche Vater als Moderator fungieren.
Noch etwas kann hilfreich sein, auch wenn es vielleicht schwer fällt: sich in die Lage der Eltern zu versetzen und vorzustellen, dass eine neue Partnerschaft auch etwas Positives hat: «Mama hat zum Beispiel weniger Stress, ihr neuer Partner macht sie glücklich und entlastet sie», sagt von Arx. Und dass sich mit glücklichen, nicht unter Stress stehenden Eltern meist besser auskommen lässt als mit frustrierten, das dürfte selbstverständlich sein.
30.11.2005, 09:50