Hallo,
ja, es stimmt: Sehr viele junge Menschen gehen sehr unvorsichtig mit ihrer Privatsphäre um. Ja, es stimmt: Im Internet gibt es einige sehr schmutzige Ecken. Und ja, es ist richtig: Das kann Kinder und Jugendlichen sehr schaden.
Aber nein: Diese Software schützt vor allem Jugendliche keinesfalls davor, im Netz ihre persönlichen Daten auszuplaudern - genauso wenig, wie es die vielen, vielen Konkurrenzprodukte nicht tun können, die heute auf dem Markt sind, und die nach ungefähr dem gleichen Prinzip funktionieren - das Internet wird weitestgehend blockiert, und mehr oder weniger Bereiche geöffnet, die jemand für pädagogisch wertvoll befunden hat.
Normalerweise würde ich mich dazu nicht äußern, weil diese Software, so wie es momentan scheint, nicht besser oder schlechter ist, als die Vielzahl von Konkurrenzprodukten: Sie mag verhindern, dass junge Menschen durch Zufall in die Hinterhöfe des digitalen Rotlichviertels geraten (dass solche Software auch prima dazu genutzt werden kann, um Information auf ein bestimmtes Meinungsspektrum zu beschränken, ist dabei eine Begleiterscheinung). Sie mag auch wenigstens einigermaßen die Sicherheit geben, dass der Chatpartner des Sprösslings kein lüsterner Erwachsener mit finsteren Absichten ist.
Aber dass die Erfinder dieses Produkts zur Bewerbung ihres Erzeugnisses Schutz vor schweren Krankheiten propagieren, die ihre Ursache nicht im Netz haben, sondern dort zum Todeskampf anheben, und dass sie versprechen, vor dem heutzutage leider alltäglichen Cyber-Mobbing schützen zu können, benötigt leider einen lauten Widerspruch.
Denn zunächst einmal beruht die angebotene Sicherheit darauf, dass sich der Nachwuchs beim Chatten ausschließlich in besonders kontrollierten Bereichen bewegt, in denen die Chatpartner entweder von den Eltern getestet und für gut befunden worden sind, oder aber an allen Enden diese Software mit einem Fingerabdruck-Scanner zur Verfügung steht. Das aber in sich fordert allerdings schon, dass bei genug Familien diese Software aufgespielt ist. Und: Es macht die Sicherheit zur Illusion, weil es eine Illusion ist, zu glauben, dass jeder, der sich in einem solchen Bereich besonders identifiziert, auch tatsächlich ein Kind ist. In Wirklichkeit kann sich jeder diese Software anschaffen, und sich dann fröhlich als jemand anderes ausgeben. Dass ein solcher Übeltäter dann wenigstens nicht mehr anonym wäre, ist ebenfalls eine Illusion: Wer sich auskennt, kann seine Identität auch hier mit einfachen Mitteln verschleiern.
Man kann also nur davor warnen, sich in Sicherheit zu wiegen, nur weil eine solche Software auf dem Computer läuft. Am Ende des Tages führt kein Weg daran vorbei, sich die Leute, mit denen sich das eigene Kind im Netz unterhält genauer anzuschauen - zum Beispiel, indem man mal mit den Eltern dieser Kinder telefoniert.
Komplizierter wird es bei der Jugend.
Hier krankt das System, dass diese Software anbietet, schon alleine daran, dass sie auf eine sogenannte Whitelist setzt, die große Bereiche des Netzes verschließt - man kann davon ausgehen, dass die meisten Jugendlichen diese massiven Beschränkungen nicht akzeptieren würden.
Aber selbst wenn es den Home-Bossen gelingen sollte, diese Software durchzusetzen, bedeutet das mitnichten, dass das eigene Kind, wie versprochen, davor geschützt ist, im Netz gemobbt zu werden - es kann dann einfach nur nicht selber mobben - es sei denn, man erlaubt ihm den Zugang zu den bei Jugendlichen beliebten Plattformen. Andere Jugendliche, bei den Zuhause eine solche Software nicht läuft, können hingegen weiterhin ungestört unvorteilhafte Videos ins Netz stellen, und dort auch die eine oder andere oder ganz viele abfällige Bemerkungen los lassen.
Und wenn man dem eigenen Kind den Zugang zu solchen Plattformen erlaubt haben sollte, dann schützt nichts mehr davor, dass es dort seine persönlichen Daten preis gibt.
Die hier prominent beworbenen Pro-Ana-Foren (von denen zuvor die wenigsten etwas gewusst haben dürften, was auch gut so war) sind hingegen für die breite Masse kaum eine Gefahr: Die Jugendlichen, die dorthin finden, sind bereits schwerst krank; sie werden es nicht durch ein solches Forum, zumal die Betreiber ihre Foren aus Angst vor Strafverfolgung meist extremst abschotten, und mitnichten jeden reinlassen, der des Weges kommt, und mal schauen will, was die da machen.
Ähnlich, allerdings weniger abgeschottet, sind die Suizid-Foren im Netz: Auch hier kann man sagen, dass die Menschen die dorthin finden, bereits sehr schwer krank sind, und dringend Behandlung benötigen.
Fazit: Wer sein Kind vor den Gefahren des Internets schützen will, sollte darauf hinarbeiten, auch mit einem pubertierenden Kind ein Verhältnis zu unterhalten, dass es erlaubt, zum richtigen Umgang mit der Technologie des Internets anzuleiten. Eine Software kann dabei nur ein HIlfsmittel sein - allerdings sollte man dann lieber eine nehmen, die statt mit einer Positiv- mit einer Negativliste arbeitet, und Seiten, auf denen bestimmte Schlüsselbegriffe vorkommen, ausschließt, statt gleich das gesamte Netz zu blockieren.