Frage -  Schubladendenken...Vorurteile und Besserwisser

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isabellvare

Guest
Hallo,
ich möchte hier mal einen Text vorstellen, den ich in einer Online-Zeitung geschrieben habe. Es betrifft das Thema ADHS. In dieser Zeitung bekomme ich nun zur Zeit bitterböse Kommentare. Macht nichts...
Ich möchte ihn euch auch gerne mitteilen meinen Text und gerne mal eure Meinung dazu hören.
Sehe ich das ganze zu Übertrieben, könnt ihr euch mit meinem Denken identifizieren?
Oder wie seht ihr die ganze Sache. Hier sind wir unter uns Betroffenen, in der großen Online-Welt reagieren Nichtbetroffene so wie ich es erwartet habe.
Wie reagiert ihr drauf?
Da der Text von mir ist, verstoße ich gegen keine Urheberrechte. ;-)
Ich möchte noch erwähnen, dieser Text ist geschrieben worden in einer Phase, wo man einfach verzweifelt ist.
 
I

isabellvare

Guest
Und hier kommt der Text:

Keiner versteht mich!

Immer dieses Schubladendenken….
Vorurteile und Besserwisser...
Ich bin es leid, mich zu rechtfertigen. Leid ständig und andauernd meine Situation erklären zu müssen. Es gibt eben Dinge in dieser Welt die sind einfach so. Sie sind nicht zu ändern. Punkt.

Aber nein, Vorwürfe über Vorwürfe…können einem den Alltag vermiesen. Von allen Seiten hagelt es auf sie ein. Man ist an allem Schuld, man wird für alles Verantwortlich gemacht. Das Beste aber ist, das Menschen – ein vorgefertigtes Bild von einem haben. Wer kennt das nicht?

Ich erzähle mal eine kleine Geschichte dir mir vor einigen Jahren passierte. Es war Winter, eisigkalt, auf der Bank in einer Bushaltestelle schlief ein Penner. Ich betrachtete ihn besorgt und bemerkte, seine Lippen waren schon ganz blau und die Finger auch. Ich dachte sofort „Mensch, der erfriert doch fast“. Als mein Bus kam, machte ich den Busfahrer aufmerksam auf die Notlage des Mannes und erbat mir einen Krankenwagen für diesen Mann. Widerwillig, griff der Fahrer zum Funkgerät. Ich stieg ein und blieb vorne stehen. Da fragte mich der Fahrer „wieso machen sie soviel Aufhebens um ihn, ist doch eh nur ein Penner!“. „Ja, aber auch ein Mensch dazu“ erwiderte ich und war ziemlich erbost über die blöde Aussage des Busfahrers.

Zurück zu den Vorurteilen und zu dem Schubladendenken. Wo kommt das her? Also, er ist ein Penner, also brauchen wir ihm nicht zu helfen. Selber Schuld der Kerl. Warum hat der sich auch zu Tode gesoffen.

Schubladendenken

Wissen wir warum dieser Mann in dieser Situation ist? Nein, wir vermuten etwas. Wir gehen davon aus, dass der Mensch sich um sein Hab und Gut gesoffen hat. Und wieder PUNKT.
Was sollen wir uns auch den Kopp machen um einen Penner. Schließlich haben wir ja auch Sorgen und müssen sehen wo wir bleiben.

Gut. Der Mann passt nicht ins Schema und wird einfach ausgeschlossen.

Sieht ein Mensch komisch aus, hässlich entstellt – kommt sofort wieder dieses Schubladendenken zum Vorschein. Arrgg, mit dem will aber keiner befreundet sein, der sieht ja zum fürchten aus. Der ist bestimmt auch noch ganz „Gaga“ im Kopf. Fertig – umgedreht und vergessen…

Schließlich haben wir ja andere Sorgen.

Genauso ist es mit meinem Sohn. Sein ADHS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) wird einfach nicht für ernst genommen. Sei es in meiner Familie, bei den Lehrern. Es ist egal. Dieses Kind ist einfach anders als die Norm. Passt sich nicht an, fügt sich nicht ein…

Mit so einem Kind wollen wir nichts zu tun haben….denn dieses Kind ist einfach nur schlecht erzogen.

Vorurteile und Besserwisser...

Keiner kommt auf die Idee, das das Kind krank ist und für vieles was es anstellt, gar nichts für kann. Aber egal. Wir haben keine Zeit um uns mit einzelnen zu beschäftigen. Schließlich haben wir ja unsere eigenen Sorgen…

Schubladendenken

Ist das Kind auffällig und verhält sich nicht alters Entsprechend, wird die Schuld oft der Mutter zugesprochen. Genau, diese Frau hat ihr Kind nicht im Griff, das Kind kennt keine Regeln, keine Grenzen, es wird sich selber überlassen, die Frau hat ja nur sich selbst im Kopf, ihr ist ihr Kind wohl egal…etc.pp

Vorurteile und Besserwisser...

Da dieses Kind abgelehnt wird, lehnen es auch andere Kinder ab, lehnen es die Eltern der anderen Kinder ab….

Und die Mutter gleich mit…

Schubladendenken…

Schließlich haben wir ja unsere eigenen Sorgen.

Ständig muss man sich als betroffene Mutter rechtfertigen, sich den Mund fusselig reden um den Leuten begreiflich zu machen, dass dieses Kind nicht vorsätzlich bösartig reagiert. Da zieht man Menschen ins Vertrauen, wo man später merkt – Vertrauen ist nicht immer gut. Vorsicht ist bei manchen Dingen doch eher angebracht.

Ich versuche oft den anderen Menschen begreiflich zu machen, aber das ist umsonst. Ich rede gegen Windmühlen an..
Ich kämpfe gegen Windmühlen an…
Nur um mir immer wieder anzuhören „wir wollen doch dem Kind helfen“. Ja, sie wollen dem Kind helfen, indem sie die Mutter so darstellen, dass sie unfähig ist - ihr Kind zu erziehen?

Wo einem das Wort im Mund umgedreht wird und Dinge behauptet werden die ich so nicht gesagt habe. Oder meinte.
Hab ich von mir eine falsche Wahrnehmung, oder was ist das – das ich manchmal denke – die Leute verstehen mich nicht.

Ist das auch Schubladendenken?

Nur ich sag hier mal ganz laut und deutlich.

Ich lasse mich in keine Schublade stecken.
Und wenn ihr es noch so sehr versucht:

Ich passe da gar nicht rein!
 

atropa

Lieb war gestern !!!
ja,leider sind einige menschen so oberflächlich und denken in "Schubladen".Obwohl von denen wohl kaum einer da selbst reingesteckt werden möchte...von anderen ,die auch so ein "Schubladendenken" haben.... :whatever

da fällt mir ein Songtext ein von einer deutschen Band:
"Schubladendenken - Blödsinn mit Methode,
wir machen unser Ding eben neben der Kommode
..."

8)
 
M

Meggy

Guest
Auch meine Meinung, du hast es sehr gut formuliert.
Offen, ehrlich, kämpfend vor allem!
Klasse :applaus :respekt

Bitterböse Kommentare wird es immer geben, umso wichtiger, dass man aufgeklärt ist und dann manchmal einfach den Rücken zudrehen undleise vor sich hin sagen kann, du hast doch keine Ahnung und bist ein armer Mensch, dass du nicht dazu lernen willst.
Vielleicht sollte man diesen Menschen öfter mal einen tagesablauf schreiben, dann werden sie grün und gelb, denn dort werden sie erkennen, dass in einen ADSler dreifache Erziehung und Zeit (minimum) steckt....
 

Liliki

Mensch
Hallo Isabellvare,

Ich find den Text auch klasse formuliert und die "Verzweiflung des ganz normalen Alltags-Irrsinns" sehr gut fühlbar ... es ist in meinen Augen ganz wichtig, sich Luft zu mac hen und zumindest den einen oder anderen Menschen darin zu erreichen, die eigene Arbeit zu respektieren und unterstützen!

Aus einer Schrift, die ursprünglich gedacht ist für Großeltern, deren Enkelkind an Asperger-Autismus leidet, hab ich mal zwei Absätze kopiert (leider in Englisch), die man ganz gut seiner eigenen Familie zum Lesen geben könnte ... das beschreibt die Situation von Müttern und Vätern "besonderer Kinder" ganz gut und gibt konkrete Tips, wie sich Großeltern/Onkel/Tanten verhalten könnten ...

ADD= ADS

The child’s mother looks exhausted all the time. Could that be a cause for ADD/Asperger

It’s more likely an effect. Consider what her life is like: she has to constantly monitor what is going on regarding her ADD/Asperger child, thwart anything that might trigger a meltdown, predict the child’s reactions in all situations and respond immediately, look for opportunities to teach the child social behavior without creating a scene, and so on - every minute, every day. So it’s not surprising that she doesn’t feel like sitting down for a cup of tea with you and making small talk!

The truth is that the majority of mothers of ADD/Asperger children struggle with depression. While the special services she will receive over the next few years should help in some ways, she will still be the one to deal with the day-to-day difficulties of raising an unusual child. For many mothers, this means ceaseless work, often to the exclusion of their own needs. Their physical, mental and emotional exhaustion can have a profound effect on the health and happiness of the entire family.

For this reason, mothers of ADD/Asperger children need those closest to them to give their full, unconditional support, both in words and in action.



I’d like to help out and get involved. But my son and his wife always get defensive no matter what I say.

Your son and daughter-in-law are now so used to defending their child that it comes as second nature. Give them some time. Once they are more certain of your support, they will be less sensitive.

In the meantime, think carefully before you speak. Choose expressions that suggest sympathy and genuine curiosity, and avoid those that convey criticism. For example, instead of saying ‘He looks perfectly normal to me’, you can say ‘He’s doing really well.’ Phrase ideas as questions, not judgments by saying ‘Have you thought about…’ rather than ‘It’s probably…’.

The most destructive things you can say are those that convey your lack of trust in their ability to parent, your disdain for the diagnosis, and your unwillingness to make accommodations.
Here are some real-life examples gathered from mothers of ADD/Asperger children:


‘Just let him spend more time with us. We’ll whip him into shape!’
‘She may act that way at home, but she’s not going to do that in MY house!’
‘He wouldn’t act this way if you didn’t work.’
‘I managed all by myself with four kids. You’ve just got two, and you can’t handle them!’
‘Don’t believe everything those psychologists tell you. He’ll just grow out of it, wait and see!’
‘There’s nothing wrong with her. You’re making a mountain out of a molehill. Are you sure you’re not the one that needs to see a psychologist?’
‘He’s having all these problems because you took him out of school for that home-schooling nonsense.’
‘Everybody’s got to have a problem with a fancy name these days!’
‘All you ever do is complain about how hard your life is.’


Ouch!




Keep in mind that parents of ADD/Asperger children face these hurtful, humiliating attitudes every day - from bus drivers to teachers, doctors to neighbors. Their tolerance level for such opinionated criticism is low, especially since they spend every bit of their energy raising their difficult child. So avoid insensitive comments at all costs.
And if you unwittingly blurt out something the wrong way, be sure to apologize.



LG Lili
 

cheerdance

Neues Mitglied
RE: Ich würde gerne mal eure Meinung wissen

Hallo Isabellvare,

böse Kommentare hast du dafür wahrlich nicht verdient! :wand
Aber der Witz an diesen Kommentaren ist doch, dass die Schreiber sich angesprochen gefühlt haben! Und damit haben sie selbst bewiesen, der Text ist einfach ehrlich und leider nur zu wahr. :respekt Ich finde es toll, wie du "meine" Gefühle in Worte verpasst hast. Allein schon, weil mit oft die richtigen Worte erst einfallen, wenn es längst zu spät ist.

Vielen Dank für deinen Text (ich habe in ausgedruckt und auf den Kühlschrank geklebt!) Er spricht mir aus der Seele

LG Nicole
 
I

isabellvare

Guest
Oh vielen Dank für eure Meinungen. Darüber freue ich mich sehr. :geb4 Blümchen zurück geb :sonne
Und das Nicole auch noch meinen Text an den Kühlschrank geheftet hat, macht mich stolz. :winken:
 

Leon910

*Jungsmama*
Auch mir spricht Dein Text aus der Seele!!!
Ständig diese Vorurteile, und dann auch noch von der eigenen Familie! Es kann ganz schön nerven!
Du hast Deine Meinung gerade heraus gesagt, und das ist gut so!!!
Und in meinen Augen kannst Du nur eine echt Löwenmama sein!!!
Weiter so!!! :respekt :druecker


LG Marion :sonne
 

Simone

Kampfhase
... und für Menschen die nicht verstehen und begreifen wollen ist es nun mal das einfachste es auf die Eltern und die Erziehung zu schieben.

Womit sich weiter auseinander setzen!...
 
I

isabellvare

Guest
Hallo Ihr Lieben,
ja ich bin schon eine Löwenmama und ich hab viele Jahre was falsch gemacht. Ich hab mich ständig für das Verhalten meines Sohnes entschuldigt. Bin in geduckter Stellung in den Kiga geschlichen, um mir ja nicht wieder das Gemeckere anzuhören (hoffentlich sieht mich keiner)...(natürlich sahen sie mich und stürzten tagein- und tagaus auf mich ein...und los gings laberlaber...
(ihr wisst bestimmt - was ich mir anhören durfte)
Ich hab mich geschämt, hab ich mich zurückgezogen, bin kaum noch irgendwohin mit meinem Kind gegangen...ja isoliert und meine Lebensfreude verloren.
Ständig gedacht, ich krieche auf dem Boden rum und kann nicht mehr....
Bäh...mich ärgert nun mein dummes Verhalten. Wo ist mein Stolz geblieben, wo meine Selbstachtung, mein Selbstbewußtsein????
Ich hab immer wieder gehofft - mir von anderen Hilfe zu holen...

Soll ich euch mal was verraten!
Hilfe, finde ich letztendlich nur in mir (ausser hier bei euch, ich hoffe ihr wisst was ich damit ausdrücken möchte)..
Ich selber muss meine Einstellung ändern.
Ich darf mich nicht mehr Rechtfertigen
Ich muss meinen Sohn erziehen und an seinem Verhalten arbeiten
Ich entschuldige mich nicht mehr für seine Krankheit

Nein, ich akzeptiere sie, arbeite dran etwas zu verbessern, bin aber kein Roboter und schwach sein darf ich auch mal ...
Jawohl..
Ärmel hochgekrempelt und vorallem zu dem Kind stehen und sein Kind
ANNEHMEN...
 
M

Meggy

Guest
Original von isabellvare

Ärmel hochgekrempelt und vorallem zu dem Kind stehen und sein Kind
ANNEHMEN...

Jep, du hast es kapiert. :respekt
Ich hoffe, wir können etwas dazu beitragen, es dir etwas leichter zu machen.... :maldrueck
 
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