Hallo,
ich würde einen Brief maximal als Wiedereinstieg in eure Beziehung wählen, ihn relativ kurz fassen und die wesentlichen Inhalte für ein persönliches Treffen zurückhalten. Dabei würde ich dem Jungen vermitteln, dass du ihn wahnsinnig gerne sehen würdest, aber - schätzungsweise genau wie er - im Vorfeld eine Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebst. Im ersten Schritt geht es darum, die Weichen für den zweiten Schritt zu stellen, nämlich für das persönliche Treffen. Dein Sohn wird sich in erster Linie fragen, ob er willkommen ist bei dir. Ob du euch eine Chance gibst und offen bist für ihn - und zwar völlig unabhängig davon, ob er dir diese Chance geben wird. Er steckt schon mitten in der Pubertät und ist auf der Suche nach seinem Ich - und dazu gehörst auch du.
Ich finde klasse, dass deine Ex-Frau ihm die Möglichkeit gibt, dich kennenzulernen. Es ist viel Zeit vergangen und vielleicht habt ihr so die Chance auf eine vernünftige Basis eines Elterndaseins, ganz ohne ein Paar zu sein.
Von der Riesen-Erklärungswelle würde ich erst mal Abstand nehmen. Du würdest dein Kind vermutlich damit überrollen - eventuell kann er deine Beweggründe nicht nachvollziehen und dann steht da etwas auf dem Papier, das er beiseite legt, weil er damit nicht umgehen kann. Vergiss nicht, dass es nicht einfach ist, sich in andere hineinzuversetzen. Du bist erwachsen, er ist weit jünger als du es warst, als eure Beziehung zu Bruch gegangen ist. Es ist nicht einfach, so etwas für einen Pubertierenden nachvollziehbar zu Papier zu bringen - abgesehen davon dass ich denke, dass sich hierzu noch ausreichend Gelegenheit geben werden.
Wenn ihr euch dann tatsächlich seht, würde ich alles daransetzen, deine Ex-Frau nicht in ein schlechtes Licht zu rücken, selbst wenn es gerechtfertigt wäre. Es ist SEINE Mutter, die sich 16 Jahre lang um ihn gekümmert hat. Nichts zerreißt ein Kind m. E. mehr als wenn die Eltern schlecht übereinander sprechen. Deine Beweggründe z. B. für die Trennung solltest du also nur soweit offenlegen, als sie keine schlechte Stimmung gegen seine Mutter hervorrufen. Vergiss nicht, dass auch sie ein mulmiges Gefühl haben wird, denn sie reicht dir die Hand, das wertvollste mit ihr zu teilen, was sie hat. Sie würde es dir sicherlich danken, und ihr würdet eine gute Basis für euren zukünftigen Kontakt herstellen.
Und ich würde IHN in der Hauptsache zum Thema machen, nicht dich. Lass ihn von SICH erzählen, erkundige dich nach IHM. ER ist es doch, dem du zeigen willst, dass ER wichtig ist. Seine Fragen nach dir werden dann schon auch kommen, aber überfrachte ihn nicht mit Infos, die du meinst, loswerden zu wollen, um dich zu rechtfertigen. Wenn alles gut läuft, habt ihr noch (d)ein halbes Leben für alles andere Zeit...
Hier mal ein Textvorschlag, wie ich mich dem Jungen wohl nähern würde...
Als deine Mutter mir sagte, dass du mich sehen möchtest (???), musste ich erst einmal tief durchatmen und mich setzen: Erst habe ich mich riesig gefreut und tue es auch immer noch, doch dann kamen auch andere Gedanken dazu: Wird er mich ablehnen? Gibt er mir die Chance, Dinge zu erklären? Oder will er nur mal gucken, wer ich wohl bin, um sich dann umzudrehen und wieder fortzugehen?! Eines solltest du wissen: Du warst mir immer wichtig und bist es noch, auch wenn wir uns viele Jahre nicht gesehen haben. Du bist mein Sohn, und wirst es immer bleiben - allerdings entscheidest du darüber, wie intensiv ich dein Vater sein darf. Ich würde mich freuen, wenn du mir, oder besser uns die Chance geben würdest, ein wenig von der Zeit nachzuholen, die wir 16 lange Jahre nicht miteinander gehabt haben. Ich bin nervös, total nervös, weil ich Angst habe, dass ich vielleicht nicht so bin, wie du mich gerne hättest und ich habe sogar ein wenig Angst, dass du mich ablehnst. Aber vielleicht gibst du uns die Chance, einander kennenzulernen....
Dazu würde ich ein schönes Foto von dir legen und ihm schreiben, dass du dich freuen würdest, ihn persönlich zu treffen. Die Kids gehen mit E-Mails um wie unsereiner damals mit Schallplatten. Gib ihm deine E-Mail-Adresse und alternativ deine Telefonnummer. Er soll sich melden, wenn er Lust auf ein Treffen hat. Vielleicht braucht er für den nächsten Schritt nochmal Zeit; die würde ich ihm geben.
Viele Grüße
Kirsten