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Reproduktionsmedizin - 6.4 These - Antithese 2: Einfluss der ?rztInnen-PatientInnen-Beziehung?

6.4 These – Antithese 2: Einfluss der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung?

 

In These 2 (vgl. Kap. 3) wird die Annahme formuliert, dass die behandelnden ÄrztInnen einen Einfluss auf die Entscheidungs- und Handlungsstrategien der Paare haben. Dazu lässt sich feststellen, dass Informationsquellen wie dem Internet, Büchern, Ratgebern oder dem Austausch mit anderen Betroffenen ein verhältnismäßig großer Stellenwert beigemessen wurde. Das Internet (z. B. Kinderwunschforen) nahm eine zentrale Rolle ein. Die Paare nutzten es, um sich über Behandlungsmöglichkeiten und -verläufe zu informieren und zur Validierung oder Qualitätskontrolle der ärztlichen Aussagen. Die Internetaffinität in diesem Sample lässt sich jedoch nicht für alle ungewollt kinderlosen Paare in reproduktionsmedizinischer Behandlung verallgemeinern. Die Befragten wurden überwiegend über Kinderwunschforen rekrutiert, sodass eine Neigung zum Internet und entsprechendem Forum gegeben war.

In dieser Stichprobe wurde deutlich, dass sich die ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen auf das subjektive Wohlbefinden der Paare während der Behandlung auswirkten und diese durch organisatorisch-institutionelle Bedingungen beeinflusst wurden, wie auch Siegrist (2005) ausführt (vgl. Kap. 2.1.6): Da die Kinderwunschbehandlung überwiegend ambulant stattfindet, konnten die Paare die Ärztin oder den Arzt innerhalb des Bezugssystems wechseln, wovon viele aufgrund von Unzufriedenheit mit der Betreuung, zum Teil mehrmals, Gebrauch machten. Die subjektive Zufriedenheit der Paare während der Behandlung stieg dann, wenn sich die Paare professionell, kompetent und individuell beraten und wertgeschätzt fühlten und wenn die ärztliche Betreuung über das Medizinische hinausging bzw. wenn der psychische Zustand berücksichtigt wurde. Durch die eigenen Recherchen hatten die Paare das Gefühl, dass die Wissens- und Informationsverteilungen zwischen ihnen und ihren ÄrztInnen nahezu symmetrisch waren. Positiv wurde bewertet, wenn die MedizinerInnen auf das durch Informationen aus dem Internet, Büchern oder Ratgebern angereicherte Wissen der Paare eingingen bzw. die Wünsche der Paare hinsichtlich der Diagnostik oder des Behandlungsverlaufes berücksichtigten (vgl. Kap. 2.1.6, 5.4.2).

Nach Siegrist (2005) fördern asymmetrische ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen die subjektive Unzufriedenheit von PatientInnen (vgl. Kap. 2.1.6). Auch die Befragten bewerteten negativ, wenn sich die ÄrztInnen aus der Sicht der Paare in deren Privatsphäre einmischten, etwa wenn sie ihnen rieten, zu heiraten. Dabei hatten die MedizinerInnen vermutlich die finanziellen Kosten der Behandlung im Blick, die durch eine Hochzeit für die Paare verringert werden können. Die Unzufriedenheit der Paare stieg ebenfalls, wenn die Behandlung für sie nicht transparent verlief. Daneben verursachten soziokulturelle Faktoren wie die Verwendung des elaborierten Sprachcodes der MedizinerInnen oder eine unsensible Wortwahl die subjektive Unzufriedenheit. Sie gaben den Paaren z. T. das Gefühl, fremdbestimmt oder der Medizin ausgeliefert zu sein (vgl. Kap. 2.1.6, 5.4.2). Daneben wurden Alter und Geschlecht der ÄrztInnen als Einflussfaktoren betrachtet, wobei diese Zusammenhänge nur von zwei Paaren hergestellt wurden. Eine Interviewpartnerin ging davon aus, dass Medizinerinnen gegenüber KinderwunschpatientInnen mehr Empathiefähigkeit aufbringen können als Mediziner. Ein Paar vermutete, dass jüngere ÄrztInnen eher auf dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung seien als ältere. Zusammenfassend zeigt sich, dass in Anlehnung an das Basismodell von Scheibler und Pfaff (2008) die ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen überwiegend als beidseitige Kooperation bezeichnen lassen (vgl. Tabelle 2, Kap. 2.1.6). Diese stellte sich allerdings meist erst nach einem oder mehreren Praxiswechseln ein. Die Paare waren bestrebt, eine symmetrische Wissens- und Informationsverteilung zwischen ihnen und dem Arzt zu erreichen, um ihre Entscheidungen und Handlungen nicht durch die ärztliche Steuerungsmacht begrenzen zu lassen.