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Reproduktionsmedizin und künstliche Befruchtung bei unerfülltem Kinderwunsch im Kinderwunschzentrum

Das Erleben der Familiengründung mithilfe der Reproduktionsmedizin von Personen mit unerfülltem Kinderwunsch in Deutschland

Masterarbeit im Fach Sozialwissenschaften von Diana Ginster
an der Humboldt-Universität Berlin

In dieser Masterarbeit werden die subjektiven Sichtweisen von in Deutschland lebenden ungewollt kinderlosen Paaren beleuchtet, die sich ihren Kinderwunsch mithilfe der Reproduktionsmedizin erfüllen. Untersucht wird, wie diese die Handlungsspielräume im Kontext der Reproduktions- und Pränatalmedizin während der Familiengründungsphase erleben und bewerten. Dabei werden Motive für die Behandlung, entscheidungsbeeinflussende Bedingungen und Erfahrungen sowie die Beziehungen zum familiären und sozialen Umfeld erfasst. Theoretische Konzepte und empirische Studien zu Familiengründungen und sozialen Beziehungen im Kontext der Individualisierung und Reproduktionsmedizin bieten die Grundlage dieser Arbeit. Methodisch wird ein qualitativer Forschungsansatz gewählt; die Daten werden mithilfe eines problemzentrierten Interviews erhoben. Das Sample setzt sich aus 13 heterosexuellen Paaren zusammen, die aufgrund von Fertilitätsstörungen in Kinderwunschbehandlung sind oder waren, sowie einem gleichgeschlechtlichen Paar und einer alleinstehenden Frau. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Befragten bei der Familiengründung möglichst an natürlichen Familienbildungsprozessen orientieren: Sie nutzen die Reproduktionsmedizin bzw. private Samenspende, weil sie den Wunsch nach einem Kind haben, das genetisch zumindest von einem Elternteil abstammt. Die Fortpflanzungstechnologien sehen sie als legitime Verfahren zur Familiengründung für unfruchtbare Paare an, aber reflektieren sie auch kritisch. Die Beziehungen zu den behandelnden ÄrztInnen beeinflussen die Entscheidungen und Handlungsstrategien der Paare während der Behandlung wenig. Vorgeburtliche Diagnostiken werden kaum genutzt, um die Geburt behinderter Kinder zu vermeiden oder nicht-krankheitsrelevante Merkmale festzustellen. Innerhalb der Familie und gegenüber ihrem familiären und sozialen Umfeld tendieren die Befragten dazu, die besondere Art der Familiengründung offen zu kommunizieren.

Die Masterarbeit steht hier auch für Sie zum Download bereit.

Es werden subjektive Sichtweisen von ungewollt kinderlosen Paaren in Deutschland untersucht, die Fortpflanzungstechnologien (vgl. Kap. 2.1.3) nutzten. Die Individualisierungsthese (vgl. Kap. 2.3) diente als theoretischer Rahmen, um zu ermitteln, wie Personen die sich ihnen objektiv bietenden Handlungsspielräume im Kontext der Reproduktionsmedizin erleben und nutzen. Die Fragestellungen zielten darauf ab herauszufinden, welche Erfahrungen Paare während einer Kinderwunschbehandlung machen, wodurch die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin motiviert wird, welche Einstellungen und Bedingungen deren Entscheidungsprozesse und Handlungsstrategien beeinflussen und wie sich soziale und familiär Beziehungen infolge der reproduktionsmedizinischen Behandlung gestalten (vgl. Kap. 3). Die InterviewpartnerInnen wurden überwiegend aus Kinderwunschforen rekrutiert und mithilfe des PZI befragt (vgl. Kap. 4). Dadurch, dass jene befragt wurden, die in Kinderwunschbehandlung waren oder sind, war die Nähe zum Gegenstand gewährleistet, die ein zentrales Gütekriterium der qualitativen Forschung darstellt. Das PZI knüpft an die Alltagswelten der beforschten Subjekte an, indem der Interviewende in deren Lebenswelt bzw. „ins Feld“ geht. Der Einfluss auf familiäre und soziale Beziehungen wurde bislang meist nur in Inseminationsfamilien untersucht (vgl. Kap. 2.2.3). An dieser Untersuchung nahmen hingegen überwiegend Paare teil, die eine homologe IVF, ICSI bzw. einen KT nutzten (12 von 15 Interviews). Bei acht dieser Paare erfüllte sich der Kinderwunsch (vgl. Kap. 5.1). Darüber hinaus wurden ein Paar, das eine DI nutzte, sowie ein gleichgeschlechtliches Paar und eine Alleinstehende interviewt, die sich ihren Kinderwunsch mithilfe einer privaten Samenspende erfüllten. Diese letzteren beiden Fälle wurden in die Stichprobe aufgenommen, obwohl sie keine reproduktionsmedizinische Behandlung nutzten, weil sie im Zuge der Individualisierung und Pluralisierung von Familiengründungen und -formen zu den Gruppen gehören, die ihren Kinderwunsch künftig auch in Deutschland mithilfe der Fortpflanzungstechnologien realisieren möchten (vgl. Kap. 2.1.3). In dieser Arbeit wird kein Anspruch auf Generalisierbarkeit erhoben. Sollen Aussagen getroffen werden, die verallgemeinert werden können, muss das Sample heterogener gestaltet sowie die Fallzahl erhöht werden.

Tipp: Kinderwunschzentrum Köln

Bevor die Ergebnisse dargestellt werden, muss auf folgende methodische Schwächen und offene Fragen hingewiesen werden: Bei sieben der 14 Paarinterviews waren nur die Frauen anwesend, sodass die Perspektive ihrer Partner nur von ihnen und somit nur teilweise beantwortet wurde. An einigen Stellen wurden spezifische Sondierungs- oder Ad-hoc-Fragen nicht gestellt, etwa weil die Äußerungen der Befragten vom Interviewenden vermeintlich verstanden wurden, was aber in solchen Fällen kenntlich gemacht wurde. Spezifische Sondierungsfragen fehlten z. B. bei der Befragung des Paares, das eine DI in Anspruch nahm (I.15). Insofern ist die Interpretation einer möglichen „Normalisierung als ob“-Strategie nicht eindeutig. Daneben wurden die standarddemografischen Daten der privaten Samenspender nicht erhoben. Daher fehlen Hinweise auf mögliche weitere Merkmale, die den Befragten bei der Auswahl ihrer Spender für die künstliche Befruchtung wichtig waren. Neben offenen Fragen wurden im Laufe des Auswertungsprozesses methodische Fehler sichtbar: So enthalten einige Fragen des Interviewenden Antwortvorgaben oder wurden mehrdimensional gestellt. Letzteres erschwert dem Befragten die Beantwortung. Die Fragen zur Einstellung gegenüber PND und Schwangerschaftsabbrüchen waren für die Paare hypothetisch, weil entweder noch keine Schwangerschaft eingetreten war oder weil kein pathologischer Befund im Rahmen einer PND diagnostiziert wurde. Das gilt auch für die Bewertung der PID, die in Deutschland verboten ist. Hypothetische Fragen sind methodisch eigentlich unzulässig, haben sich aber als hilfreich erwiesen, weil subjektive Sichtweisen oder Motive der Befragten identifiziert werden konnten. Wie bei der Konstruktion des Interviewleitfadens angenommen (vgl. Kap. 4.4), hatten sich die meisten Befragten mit diesen Fragen bzw. Themen bereits auseinandergesetzt. Dennoch muss bei diesen Aussagen berücksichtigt werden, dass es sich nicht um tatsächliche Entscheidungs- und Handlungsstrategien handelt.

Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten: Ausgehend von der Individualisierungsthese konstatiert Beck-Gernsheim, dass für unfruchtbare Paare ein gesellschaftlicher Druck herrscht, eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch zu nehmen (vgl. Kap. 2.3.2). Die Aussagen der Paare weisen eher nicht darauf hin. Deutlich wurde, dass die Fortpflanzungstechnologien von den meisten Paaren als legitime Verfahren der Familiengründung akzeptiert und als individueller Zuwachs an Möglichkeiten betrachtet wurden, um trotz einer vorliegenden Fertilitätsstörung eine Familie zu gründen. Die meisten Paare strebten an, dass die Zeugung ihres Nachwuchses mithilfe der medizinisch assistierten Fortpflanzung natürlichen Familienbildungsprozessen möglichst nahe kommt. Für einige war das Schwangerschaftserleben bei der Erfüllung des Kinderwunsches relevant und ein Motiv für die Nutzung der Reproduktionsmedizin, damit beide Partner die Entwicklung des Kindes von Anfang an mitbekommen können. Die meisten Paare nannte die Weitergabe der elterlichen Eigenschaften bzw. Gene an ihren Nachwuchs als Kinderwunschmotiv (vgl. Kap. 5.2). Die hohe Bedeutung der genetischen und biologischen Verbindung zwischen Eltern und Kind zeigte sich daran, dass für einige Paare eine Samen- oder Eizellenspende eher in Frage kam war als eine Adoption, wenn etwa ICSI- oder IVF-Behandlungen nicht zur Schwangerschaft führen würden, weil dabei die genetische Verbindung zumindest zu einem Elternteil besteht und eine Schwangerschaft erlebt werden kann. Die Merkmale des genetischen Vaters waren auch für die Befragten von Bedeutung, die eine anonyme bzw. private Samenspende nutzten. So standen dem Paar, das eine DI in Anspruch nahm, mehrere ausführliche Spenderprofile zur Verfügung, weil die Klinik, in der es behandelt wurde, Samen aus Dänemark bezog. Dadurch hatte es mehr Entscheidungsmacht bezüglich der Auswahl des genetischen Vaters ihres Kindes, als wenn es Samen von deutschen Samenbanken bezogen hätte. Aus diesem Grund ist es denkbar, dass künftig Paare, die eine DI nutzen möchten, zunehmend auf Spendersamen aus dem Ausland zurückgreifen. Auch das gleichgeschlechtliche Paar und die Alleinstehende legten Wert darauf, mehr als nur Gesundheitszustand und Äußerlichkeiten über den Spender zu erfahren. Diese Aussagen zeigen tendenziell, dass – wie in der Sozialbiologie angenommen – sich Personen, die eine Familie gründen möchten, bei der Partnerwahl an den (genetischen) Qualitäten der genetischen Väter orientieren (vgl. Kap. 2.1.1).

Deutlich wurde außerdem, dass die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin von finanziellen Ressourcen und institutionellen Beschränkungen abhängt (vgl. Kap. 2.1.3). Viele Befragte kritisierten, dass nur verheiratete Paare von den Krankenkassen finanziell unterstützt werden. Das gleichgeschlechtliche Paar, die Alleinstehende und auch einige Ehepaare bemängelten, dass Heterosexualität sowie eine Paarbeziehung Voraussetzungen sind, um eine reproduktionsmedizinische Behandlung nutzen zu dürfen und/oder finanzielle Unterstützung zu erhalten. Beides solle nicht vom Familienstand oder der sexuellen Orientierung abhängen. Diese Aussagen zeigen zum einen, dass normative Verbindlichkeiten nachgelassen haben, weil eine Ehe überwiegend nicht als Legitimierung oder notwendige Voraussetzung für die Realisierung des Kinderwunsches angesehen wird. Zum anderen wird deutlich, dass heute heterogene Familienformen und -konstellationen eher akzeptiert werden als vor den 1950er Jahren. Außerdem äußerten viele Befragte ihr Unverständnis darüber, dass ungewollt Kinderlose angesichts des demografischen Wandels nicht stärker seitens des Staates bei der Zeugung von Nachwuchs unterstützt werden (vgl. Kap. 5.4.3).

Gesetzliche Regelungen oder gesellschaftliche Normen hatten für die meisten Befragten auch in anderen Bereichen wenig Einfluss. Sie möchten etwa individuell bestimmen, welche Art der Familiengründung sie wählen, wie sich die Familienkonstellation gestaltet, ob eine Schwangerschaft fortgeführt oder abgebrochen und eine PND, PKD oder PID vorgenommen wird. Wenige Paare, die Familiengründungen durch Reproduktionsmedizin als gesellschaftlich häufig tabuisiert wahrnahmen, sahen es außerdem als erforderlich an, dass die Öffentlichkeit aufgeklärt wird, damit jene, die Fortpflanzungstechnologien nutzen, nicht in eine Sonderrolle gedrängt werden (vgl. Kap. 5.4.15.4.3).

Ferner lässt sich festhalten, dass die Einstellungen, Bewertungen, Entscheidungs- und Handlungsstrategien der Befragten von unterschiedlichen Bedingungen und individuellen Erfahrungen geprägt waren: Dazu gehörte etwa die katholische Konfessionszugehörigkeit, welche die subjektive Sichtweise auf die Reproduktionsmedizin, PND, PID und Schwangerschaftsabbrüche beeinflusste. Zwei Befragte mit katholischem Glauben mussten zunächst die Anwendung der Reproduktionsmedizin mit ihrem katholischen Weltbild vereinen. Darüber hinaus definierten sie, ebenso wie die katholische Kirche, den Beginn des schützenswerten menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, weshalb sie z. B. die PID ablehnten bzw. als „Herumexperimentieren“ mit menschlichem Leben interpretierten (vgl. Kap. 5.4.35.6.2). Dass die katholische Konfession einen Einfluss auf die Einstellung zur Reproduktionsmedizin hat, wurde auch deutlich, als einige Paare über die Reaktionen ihrer katholischen Eltern auf die Art der Familiengründung berichteten: Für diese war schwierig zu akzeptieren, dass fremde Menschen in die Zeugung eines Kindes eingreifen (vgl. Kap. 5.5.3). Eine andere Sichtweise zeigte sich bei Paaren mit einem medizinischen oder naturwissenschaftlichen Bildungsabschluss: Für sie begann das schätzenswerte Leben mit der Einnistung des Embryos in den Mutterleib, weshalb sie die PID als legitime Diagnostik befürworteten. Ging es aber um die eigenen kryokonservierten Eizellen, verglichen die Befragten diese mit Kindern (vgl. Kap. 5.6.2, 6.7). Fraglich bleibt, ob und aus welchen Gründen sie zu diesen Zellen eine Bindung aufbauten. Daneben prägten individuelle Erfahrungen die Sichtweisen und Entscheidungsbegründungen einiger Paare, etwa im Hinblick auf die Bewertung von Schwangerschaftsabbrüchen: Erlebten sie in ihrem sozialen Umfeld, dass Familien ein Leben mit einem behinderten Kind gut bewältigten, wurde auch für sie ein Leben mit einem behinderten Kind vorstellbar. Machten sie negative Erfahrungen, zogen sie bei einer diagnostizierten Behinderung eher eine Abtreibung in Betracht (vgl. Kap. 5.6.1, 6.7). Bei den ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen zeigte sich ein eindeutiges Bild: So stieg die subjektive Zufriedenheit der Paare während der Behandlung, wenn diese Beziehung auf gegenseitiger Kooperation basierte und sich symmetrisch gestaltete. Eine große Rolle nahm das Internet ein, in dem sich die Befragten über die Behandlung informierten. Diese Informationen zogen sie hinzu, um die Inhalte des Ärztlichen Aufklärungsgespräches für sie transparent und verständlich zu machen und die Ärztlichen Mitteilungen validieren zu können (vgl. Kap. 2.1.65.4.2, 6.4). Ähnlich wie Siegrist (2005) bei chronisch kranken PatientInnen feststellte, wurden die Befragten annähernd zu „ExpertInnen“ der Kinderwunschbehandlung, weil sie die Familiengründung als Privatangelegenheit verstanden, bei der sie möglichst viel Entscheidungsmacht innehaben wollten.

Außerdem wurde der Einfluss der Familiengründungsart auf die Paarbeziehungen, Beziehungen zum familiären und sozialen Umfeld sowie Eltern-Kind-Beziehungen untersucht. Die Entkoppelung von Fortpflanzung und Sexualität (vgl. Kap. 2.2.3) durch die Nutzung der Reproduktionsmedizin – unabhängig davon, ob die Reproduktionstriade erhalten blieb oder nicht – hatte bei den Paaren keinen negativen Einfluss auf deren Paarbeziehungen, sondern intensivierte und stärkte diese in den meisten Fällen (vgl. Kap. 5.5.1, 6.5). Wie Thorn feststellte, besteht bei Inseminationsfamilien eine Tendenz zum offenen Umgang mit der Art der Familiengründung (vgl. Kap. 2.2.3). Dies bestätigte sich in dieser Befragung und traf auch auf jene Paare zu, die eine homologe IUS, IVF oder ICSI nutzten. Alle Paare gingen gegenüber ihnen nahestehenden Familienmitgliedern und FreundInnen offen mit der Thematik um. Die Reaktionen des familiären, sozialen und beruflichen Umfeldes wurden meist als anteilnehmend und psychisch unterstützend bezeichnet. Einige InterviewpartnerInnen wurden jedoch mit Verständnislosigkeit, Skepsis oder Bedenken von Familienmitgliedern oder FreundInnen konfrontiert, die zu den älteren Generationen gehörten (vgl. Kap. 5.5.25.5.35.5.4, 6.6). Das deutet darauf hin, dass jüngere Generationen die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin zur Familiengründung eher akzeptieren als Ältere. Der Austausch mit anderen Paaren, die ungewollt kinderlos bzw. in Kinderwunschbehandlungen waren, hatte bei den Befragten einen hohen Stellenwert. Sie bauten z. B. Netzwerke in Form institutionalisierter Kinderwunschstammtische auf, die sie besuchten, weil sie dort ein höheres Maß an Empathie und Verständnis als im familiären oder sozialen Umfeld erfuhren (vgl. Kap. 5.5.25.5.3, 6.6).

Im Gegensatz zu vorangegangenen Untersuchungen, etwa von Schaible (vgl. Kap. 2.2.3), befürworteten alle InterviewpartnerInnen gegenüber ihren Kindern einen offenen Umgang mit der Zeugung durch die medizinisch assistierte Fortpflanzung oder private Samenspende. Die Art der Zeugung erschien den Befragten für die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung kaum entscheidend zu sein. Ausschlaggebend war für die meisten Paare vielmehr, dass bei beiden Partnern ein Kinderwunsch und Liebe zum Kind vorhanden sind sowie dass die Eltern in der Lage sind, die Existenzsicherung zu gewährleisten bzw. ihren normativen Pflichten nachzukommen (Wahrnehmung der sozialen und rechtlichen Elternschaft) (vgl. Kap. 5.5.5). Jene, die eine homologe IUS, IVF oder ICSI nutzten, nahmen jedoch an, dass sich auch die genetische Verbindung positiv auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirke. Sie erklärten, dass die Gene sich auf die Charaktereigenschaften des Kindes auswirken können. Deshalb befürchteten sie, dass etwa bei Adoptionen eher Konflikte in dieser Beziehung auftauchen, weil die genetische Herkunft unbekannt ist. Die Aussagen weisen darauf hin, dass diese Paare die genetische Verbindung zwischen Kind und Elternteil als wichtiges, konstitutives Merkmal für die Elternschaft ansehen. Eine andere Ansicht vertraten die Inseminationsfamilien: Diese betonten, dass die Wahrnehmung der sozialen Elternschaft und die Liebe zum Kind die Eltern-Kind-Beziehung vielmehr positiv beeinflussen als die genetische Verbindung beider Eltern zum Kind. Für das Paar, das sich den Kinderwunsch durch eine DI erfüllte, war die asymmetrische genetische Verbindung zum Kind unproblematisch. Der soziale Vater hatte keine Schwierigkeiten, sich als „richtiger“ Vater zu fühlen und auch für die Mutter war annehmbar, dass das Kind nicht von beiden Elternteilen genetisch abstammt (vgl. Kap. 5.5.5, 6.5).

Alle Paare bewerteten positiv, dass es ihnen durch den medizinischen Fortschritt möglich ist, eine Familie zu gründen. Sie reflektierten aber auch Risiken und mögliche bestehende negative Konsequenzen der medizinisch assistierten Fortpflanzung (vgl. Kap. 5.4.1). Die meisten Befragten plädierten für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Fortpflanzungstechnologien und vorgeburtlichen Diagnostiken: So vertraten die meisten Paare die Ansicht, dass die Reproduktionsmedizin nur bei einer Fertilitätsstörung zum Einsatz kommen dürfe und nicht etwa, damit Paare, die auf natürlichem Wege Kinder bekommen können, eine PID nutzen können. Laut den meisten Befragten sollte auch ein Verfahren wie Leihmutterschaft hierzulande genutzt werden dürfen, aber nur bei einer medizinischen Indikation und nicht etwa, um die mit einer Schwangerschaft einhergehenden körperlichen Veränderungen zu umgehen. Die gesetzliche Regelung, dass maximal drei Embryonen transferiert werden dürfen, befürworteten die meisten Paare aufgrund der gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind(er). Daneben forderten nahezu alle Befragten, dass das Indikationsspektrum bei der PID, sollte sie in Deutschland zugelassen werden, gesetzlich reglementiert wird, um zu verhindern, dass Eltern ethisch nicht vertretbare Entscheidungen treffen können und etwa die Selektion eines Embryos aufgrund der Augenfarbe vornehmen lassen (vgl. Kap. 5.6.25.6.3, 6.7).

Trat bei den Paaren eine Schwangerschaft ein, nahm der überwiegende Teil der Paare nur die in den Mutterschaftsrichtlinien empfohlenen, konventionellen und nicht-invasiven PND in Anspruch (vgl. Kap. 5.6.1). Entgegen den Feststellungen Krögers, dass etwa die invasive Amniozentese von vielen Frauen genutzt wird, weil sie denken, dadurch verantwortungsvoll zu handeln (vgl. Kap. 2.3.2), lehnten nahezu alle Paare invasiven PND sogar ab, etwa weil dabei ein Fehlgeburtsrisiko besteht, weil für sie Schwangerschaftsabbrüche ohnehin nicht in Frage kamen oder sie es als Pflicht von werdenden Eltern ansahen, ein heranwachsendes Kind großzuziehen, unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht (vgl. Kap. 5.6.1, 6.7). Das zeigt, dass die Paare es trotz der genutzten medizinisch assistierten Fortpflanzung bevorzugen, die Natürlichkeit weitestgehend zu bewahren bzw. der Natur ab dem Zeitpunkt der Einnistung des Embryos möglichst freien Lauf zu lassen. Zudem sprechen die Aussagen der Paare gegen die von Beck-Gernsheim vertretene These, dass sich der Wunsch nach einem Kind, das keine Anomalien aufweist, verstärkt, wenn die angestrebte Schwangerschaft durch die Reproduktionsmedizin erreicht wurde (vgl. Kap. 2.3.1, 6.7).

Hinsichtlich der PID waren alle Paare konform mit dem Vorschlag der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie, eine PID nur für erblich belastete Paare zuzulassen, bei denen aus medizinischer Sicht eine Unfruchtbarkeitsbehandlung indiziert ist (vgl. Kap. 5.6.2). Die Einstellungen zu den Anwendungsgebieten der PND und PID und zum Schwangerschaftsabbruch deuten nicht darauf hin, dass eine Pflicht zum unbehinderten Kind besteht oder dass bei den Paaren Wunschkindmentalitäten oder Konsumenteninteressen bestehen, die von KritikerInnen der Fortpflanzungstechnologien angenommen werden (vgl. Kap. 2.3.12.3.2). Alle Paare vertraten die Ansicht, dass die Geburt von Kindern vermieden werden soll, die an Erkrankungen oder Behinderungen leiden, an denen sie im Mutterleib, nach der Geburt oder im frühen Kindesalter mit hoher Wahrscheinlichkeit sterben werden oder bei Erkrankungen oder Behinderung, bei denen die Kinder sich ihr Leben lang nicht selbst versorgen können (vgl. Kap. 5.6.1, 6.7). Sie reflektierten, dass eine Grenze bezüglich der Reichweite der PID nötig, aber auch schwierig zu ziehen ist. Die Diagnostik von äußerlichen, nicht-krankheitsrelevanten Merkmalen lehnten alle Paare ab, damit die Individualität eines jeden Kindes erhalten bleibt. Einige InterviewpartnerInnen verwiesen bei der Bewertung der PID auf die Eugenik des Dritten Reiches oder argumentierten im Sinne des Dammbruch-Argumentes: Sie befürchteten, dass der Angebotskatalog der PID ausgeweitet werden könnte, wenn die PID etabliert ist (vgl. Kap. 5.6.2, 6.7). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es sich bei den Aussagen der Paare – etwa aufgrund der deutschen Geschichte zur Zeit des Dritten Reiches oder der hierzulande häufig gesellschaftlich und wissenschaftlich kritischen Bewertungen – um Effekte der sozialen Erwünschtheit handelt.

Bei den Ausführungen zu den ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen wird deutlich, dass die Perspektiven von professionellen ExpertInnen etwa bei Fragen zur Konsumentenhaltung von Eltern an die Pränatal- und Reproduktionsmedizin fehlen. So bleibt ungeklärt, ob – wie u. a. Kröger bemerkt – eine Anspruchshaltung bei den Eltern besteht, weshalb sich MedizinerInnen genötigt fühlen, mehr Diagnostiken vorzunehmen, als die Paare wünschen. Daneben ist fraglich, wie die ÄrztInnen das „ExpertInnenwissen“ der Kinderwunschpaare einschätzen. Für diese Masterarbeit war geplant, die Sicht der ÄrztInnen zu beleuchten. Es erklärten sich jedoch keine der kontaktierten Reproduktions-medizinerInnen für ein Interview bereit. Auch die Perspektive der durch die Fortpflanzungstechnologien gezeugten Kinder bietet eine Grundlage für weitere Untersuchungen. In Deutschland haben bisher nur Siegel et al. die Einstellungen der ersten Generation der durch IVF gezeugten Kinder erfragt. Weil in dieser Masterarbeit nur zwei besondere Fälle – ein gleichgeschlechtliches Paar und eine Alleinstehende – befragt wurden, besteht ein Bedarf an Studien, in denen die Perspektiven von jenen Familienformen, die vom Normaltypus der Familie abweichen, einen Kinderwunsch haben und den realisieren möchten, sowie auch deren Kindern, die entweder durch eine reproduktionsmedizinische Behandlung im Ausland oder einer privaten Samenspende gezeugt werden, beleuchtet wurden. Ferner deutet die Befragung auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin, etwa hinsichtlich der Reaktionen auf die Diagnose. Dabei bleibt die Frage offen, ob und wie gesellschaftliche oder sozialisierte Normen bei einigen InterviewpartnerInnen verursachen, dass sie Unfruchtbarkeit als Widerspruch zur Weiblichkeit bzw. Männlichkeit betrachten. Daneben böten sich ähnliche Untersuchungen wie diese im Ausland an, um die subjektiven Sichtweisen von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch dort zu untersuchen, wo diesen Paaren reproduktive Optionen oder vorgeburtliche Diagnostiken zur Verfügung stehen, die in Deutschland bislang nicht erlaubt sind wie Leihmutterschaft, pränatale Adoptionen oder PID.

Das Konzept der verantworteten Elternschaft kann in Bezug auf den qualitativen Aspekt der Elternschaft unter Berücksichtigung der Ergebnisse dieser Arbeit auch anders interpretiert werden als etwa von Beck-Gernsheim. Im Zuge des medizinischen Fortschrittes und der zunehmenden Möglichkeiten der Fortpflanzungstechnologien und vorgeburtlichen Diagnostiken möchten potenzielle Eltern die Möglichkeit wahrnehmen, die Geburt von Kindern zu vermeiden, die keine Chance haben, bis zur Geburt oder bis zum frühen Kindesalter zu Überleben oder ein Leben ohne medizinische Maßnahmen oder Hilfe von Außen zu bewältigen. Dies deutet darauf hin, dass werdende bzw. potenzielle Eltern bemüht sind, klare Grenzen zu ziehen, wobei sie auch reflektieren, dass diese Grenzen nicht präzise genug sind. In Anlehnung an Sandel (2008) kann konstatiert werden, dass die Entscheidungen der Befragten in keinem Fall eugenisch sind. Es deutet auch nichts darauf hin, dass die Nutzung der Fortpflanzungstechnologien dazu führt, dass die Erwartungshaltungen derer steigen, die diese Technologien nutzen, das ungeborene Leben gestalten zu wollen. Vielmehr zeigt sich, dass sich diese Personen kritisch mit den Folgen der Anwendung der Reproduktionsmedizin und vorgeburtlichen Diagnostik auseinandersetzen, und so weit wie möglich die Natürlichkeit der Familiengründung als auch die Individualität ihres Nachwuchses erhalten möchten. Die Inanspruchnahme einer reproduktionsmedizinischen Behandlung war bei den werdenden und potenziellen Eltern nicht mit der Erwartung eines makellosen Wunschkindes verbunden und kollidierte auch nicht mit einer voraussetzungslosen Elternliebe. Inwiefern weitere medizinische Entwicklungen bedingen, dass in Zukunft genetische Interventionen in Körperzellen oder Keimbahnen, die den Nachwuchs optimieren bzw. wodurch auf dessen Beschaffenheit Einfluss genommen werden kann , von werdenden oder potenziellen Eltern akzeptiert werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Es wird aber deutlich, dass ein Bedarf besteht, die individuellen Sichtweisen auf die Fortpflanzungstechnologien weiterhin zu untersuchen.

Reproduktionsmedizin und künstliche Befruchtung bei Kinderwunsch im Kinderwunschzentrum

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