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Reproduktionsmedizin - 4.4 Konstruktion des Interviewleitfadens

4.4 Konstruktion des Interviewleitfadens

 

Die Befragten sollten sich als ExpertInnen ihrer Orientierungen und Handlungen begreifen und im Gespräch die Möglichkeit haben, eigene Aussagen oder die der Interviewenden zu korrigieren. Diese kombinierte Zuhören mit Nachfragen, um den eigenen Erkenntnisfortschritt zu optimieren. Hierzu stehen im Rahmen des PZI Gesprächstechniken zur Verfügung, die flexibel eingesetzt werden können, wie allgemeine und spezifische Sondierungsfragen sowie Ad-hoc-Fragen. Der Interviewleitfaden beginnt mit einer vorformulierten Eingangsfrage, womit in die erzählende Gesprächsstruktur und den Problem- bzw. Themenbereich des Gesprächs eingeleitet wird. Bei dieser Befragung wurden die InterviewpartnerInnen dazu aufgefordert zu erzählen, wie sie zur Kinderwunschbehandlung gekommen sind. Diese Frage wirkt wie eine „leere Seite“, welche die Befragten mit eigenen Worten und Gestaltungsmittel fällen kann. Die Aufforderung „Erzählen Sie doch mal“ verdeutlicht, dass es sich nicht um ein traditionelles Interview im Sinne eines Frage-Antwort-Spiels handelt.

Im weiteren Verlauf der Kommunikation werden mithilfe allgemeiner Sondierungsfragen thematische Aspekte aus der Erzählsequenz nach der Einleitungsfrage aufgegriffen, um mit entsprechenden Nachfragen den roten Faden weiterzuspinnen und weiter ins Detail zu gehen. In dieser Arbeit wurden z. B. konkrete Erfahrungsbeispiele „hervorgelockt“ – etwa hinsichtlich der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehungen -, welche die Erinnerungsfähigkeit anregen sollten. Spezifische Sondierungsfragen dienen der Verständnisgenerierung. So wurden während der Interviews Äußerungen der Befragten gespiegelt, was deren Selbstreflexion stützte und Möglichkeiten eröffnete, ihre Sichtweise zu behaupten. Konfrontationsfragen fördern eine weitere Detaillierung von Sichtweisen, wurden aber in dieser Befragung vermieden, um das Vertrauensverhältnis nicht zu strapazieren. Ad-hoc-Fragen werden nötig, wenn bestimmte Themenbereiche vom Befragten nicht angesprochen werden. Diese ergeben sich aus Stichwörtern aus dem Leitfaden und sichern die Vergleichbarkeit der Interviews. Ad-hoc-Fragen werden auch formuliert, wenn der Interviewende während des Gespräches auf Aspekte stößt, die im Leitfaden nicht verzeichnet sind, die aber für die Erhaltung des Gesprächsfadens oder die Themenstellung bedeutend sind.

Der Interviewleitfaden orientierte sich am chronologischen Verlauf einer Kinderwunschbehandlung. Nach der Einleitungsfrage sollten die Befragten auf das Erleben der Diagnose eingehen bzw. darauf, was sie empfanden, als sicher war, dass sie auf natürlichem Wege wahrscheinlich keine Kinder bekommen können. Zudem interessierten Kinderwunschmotive und die ausschlaggebenden Gründe oder auslösenden Momente für die Aufnahme der Behandlung. Anschließend wurde erfragt, welche Erwartungen die Paare an die Fortpflanzungstechnologien haben bzw. hatten. Diese Frage zielte darauf ab, herauszufinden, wie die Paare die Möglichkeiten der Fortpflanzungstechnologien wahrnehmen und welche Vor- und Nachteile sie sehen. Zudem sollten die Gründe identifiziert werden, wie die Erwartungen zustande kamen.

Die Befragten sollten dann über ihre positiven und negativen Erfahrungen berichten, die sie während der Behandlung machten, etwa in Bezug auf die ärztliche Betreuung, die physischen und psychischen Belastungen, den Umgang mit der Art der Familiengründung gegenüber dem familiären und sozialen Umfeld, die Reaktionen des Umfeldes sowie die Auswirkungen auf die Paarbeziehungen. Dabei wurden auch die Motive erfragt, aus welchen Gründen sich die Befragten für eine bestimmte Handlungsstrategie entschieden hatten.

Wurden Befragte infolge der reproduktionsmedizinischen Behandlung schwanger, wurde erfragt, welche PND von den Paaren aus welchen Gründen in Anspruch genommen wurden. Dabei ging es um die Einstellung der Paare zu Behinderungen, Krankheiten, Mehrlingsschwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüchen und um die Motive, die diese Meinungen bedingten. Wurde im Rahmen der PND ein pathologischer Befund festgestellt, wurde erfragt, wie und aus welchen Gründen die InterviewpartnerInnen darauf reagierten. Die Frage zielte darauf ab, herauszufinden, wie sie mit ethischen Konflikten im Rahmen der PND umgegangen sind, ob sie dabei einem Zwang unterlagen (durch Druck aus dem sozialen Umfeld oder von den ÄrztInnen), bestimmte Untersuchungen vornehmen zu lassen oder ob Handlungs- und Entscheidungsautonomie gewährleistet war bzw. ist.

Bei den Paaren, bei denen keine Schwangerschaft eingetreten war bzw. kein pathologischer Befund während der Schwangerschaft festgestellt wurde, waren die Fragen hypothetischer Natur. Das ist nicht ideal, da tatsächliche Entscheidungsprozesse und Handlungsstrategien nicht erfasst werden können, sondern die Aussagen spekulativ sind. Angenommen wurde aber, dass sich potenzielle Eltern ohnehin mit der Thematik beschäftigen und dass aus den Aussagen der Paare auf deren Sichtweisen und wahrscheinliche Handlungsstrategien geschlossen werden kann. Mit Fragen zur PID sollte ermittelt werden, wie die Paare diese Diagnostik bewerteten, welche ethischen Werte und Normen sie vertraten und welche Ursachen die subjektive Sichtweise und die Einstellungen bedingten. Hierbei wurde erfragt, für welche medizinischen Indikationen die Paare die Diagnostik als sinnvoll erachteten oder in Anspruch nehmen würden.

Dann sollte ermittelt werden, ob und aus welchen Gründen die Paare mit ihrem Kind offen über die Art seiner Zeugung gesprochen haben oder diese verheimlichen. Dabei handelte es sich ebenfalls um hypothetische Fragen, wenn sich der Kinderwunsch noch nicht erfüllt hatte. Auch bei dieser Frage wurde davon ausgegangen, dass sich die Paare mit der Thematik bereits beschäftigt hatten. Schließlich konnten die InterviewpartnerInnen, sofern dies zeitlich möglich war, Aspekte benennen, die nicht besprochen wurden, sie aber für das Thema relevant hielten.