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Reproduktionsmedizin - 5.4.1 Erwartungen und Bewertungen der Reproduktionsmedizin

5.4.1 Erwartungen und Bewertungen der Reproduktionsmedizin

 

Die meisten Paare informierten sich ?ber Sterilit?tsursachen, M?glichkeiten der assistierten Fortpflanzung, Behandlungsabl?ufe, Erfolgsquoten, Medikamente und gesundheitliche Risiken im Internet und/oder in Kinderwunschforen (I.1-12/15), in B?chern und Ratgebern (I.2-4/9/15). Die Befragten nutzten meist ihnen verl?sslich erscheinende Informationsquellen, wie publizierte Artikel von Reproduktions?medizinerInnen, um die ?rztlichen Mitteilungen zu pr?fen. Ferner tauschten sie sich mit anderen ungewollt kinderlosen Paaren au?erhalb der Foren bzw. aus dem famili?ren oder sozialen Umfeld aus, die ebenfalls in Kinderwunschbehandlung waren (I.1/6-12/13/15). Ein Paar besuchte einen Informationsabend in einem Kinderwunschzentrum. Es berichtete, dass dies zun?chst abschreckend wirkte, weil die technische Vorgehensweise der Behandlung im Vordergrund stand. Als dem Paar jedoch bewusst wurde, dass es ohne die medizinisch assistierte Fortpflanzung kein leibliches Kind bekommen konnte, entschloss es sich f?r eine ICSI-Behandlung (I.8). F?nf Paare ?u?erten, dass sie optimistisch in die Kinderwunschbehandlung gingen, weil sie zun?chst an eine hohe Erfolgsquote glaubten (I.1/2/4/6/11 ). Einige Paare hatten realistische Erwartungen. Ein Paar begr?ndete dies damit, dass ihm durch die intensive Internetrecherche nahezu alle relevanten Informationen, auch ?ber die Erfolgsquote der Behandlung, vorlagen (I.12). Zwei Interviewpartnerinnen wiesen darauf hin, dass ihre Einsch?tzungen realistisch seien, weil sie durch ihren medizinischen Beruf die medizinischen Hintergrundinformationen ?ber die Behandlung besser als Laien verstehen oder die statistischen Werte bez?glich des Behandlungserfolges interpretieren k?nnen (I.8w/13w). Drei Befragte hatten eine ?rztin oder einen Arzt im famili?ren oder sozialen Umfeld (I.3w/5w/9w), bei einem Paar hatten beide Partner einen naturwissenschaftlichen Universit?tsabschluss (I.7), die zum Verst?ndnis der medizinischen Abl?ufe und Informationen beigetragen h?tten.

Bei einigen Paaren ver?nderte sich die Sichtweise auf die medizinisch assistierte Fortpflanzung: Bis zu dem Zeitpunkt, als die ?rztin oder der Arzt ihnen mitteilte, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Reproduktionsmedizin keine Familie gr?nden k?nnen, war f?r zwei Befragte nicht nachvollziehbar, warum sich Paare f?r eine Kinderwunschbehandlung entschieden, obwohl sie mit hohen gesundheitlichen Risiken und psychischen Belastungen verbunden ist (I.13w/15m). Zwei Interviewpartnerinnen berichteten, dass vor ihrer reproduktionsmedizinischen Behandlung gro?e Angst vor diesem medizinischen Eingriff hatten (I.8w/9w). Einige Befragte vertraten vor der Anwendung der Reproduktionsmedizin die Ansicht, dass das Gelingen der Fortpflanzung der Natur ?berlassen werden solle (I.8/9/13/15). Die Befragten, die der katholischen Konfession angeh?rten, mussten vor Beginn der Behandlung die Dissonanz zwischen ihren religi?sen Einstellungen und der Anwendung von Fortpflanzungstechnologien zur Familiengr?ndung ausgleichen. Einerseits widerspr?che diese medizinisch technisierte Zeugung einer religi?sen Vorstellung von der Zeugung eines Kindes. Andererseits vertraten sie schlie?lich die Ansicht, dass Gott die Menschen dazu bef?hige, reproduktionsmedizinische Verfahren zu entwickeln (I.13m), und diese Methoden nur aufgrund des g?ttlichen Willens fruchteten (I.3w).

Die meisten Paare bewerteten negativ, dass die Behandlungen mit hohen finanziellen Kosten verbunden seien (I.1-5/11/12). Zwei Befragte verglichen reproduktionsmedizinische Behandlungen mit Wareneink?ufen. Weil f?r die Zeugung eines Kindes Geld bezahlt werden m?sse, entferne sich diese Familiengr?ndungsart noch mehr von nat?rlichen Familienbildungsprozessen (I.7/9). Daneben wurde die deutsche Gesetzgebung als zu restriktiv oder wissenschaftlich r?ckschrittlich empfunden, etwa in Bezug auf die Weiterkultivierung der Embryonen oder der Einf?hrung der PID (vgl. dazu Kap. 5.6). Viele Paare nahmen an, dass durch Embryonenscreenings Fehlversuche verhindert und somit finanzielle, psychische und physische Belastungen f?r die potenziellen Eltern reduziert werden k?nnen (I.1/5-8/12/13/15). Einige Befragte f?hlten sich durch jene Personen, welche die Regelungen der Krankenkassen festlegen, missverstanden oder diskriminiert. Eine Interviewpartnerin begr?ndete dies damit, dass Sterilit?t bei den Krankenkassen nicht als Krankheit definiert werde (I.5). Andere f?hrten die Diskriminierung darauf zur?ck, dass sich die politischen MachthaberInnen nicht in die Situation von ungewollt kinderlosen Paaren versetzen k?nnten. Das habe zur Folge, dass die finanzielle Unterst?tzung f?r eine Kinderwunschbehandlung seitens des Staates stetig sinke. Die Paare erkl?rten, dass dies im Widerspruch zum demografischen Wandel und den Bem?hungen der PolitikerInnen um Familien stehe (I.1/2/5/6/10-12). Daneben kritisierten drei Paare, dass nur verheiratete Paare bei den Kinderwunschbehandlungen von den Krankenkassen finanziell unterst?tzt werden. Eine Eheschlie?ung sei nicht mehr freiwillig, weil der Kostendruck zur Hochzeit zwinge (I.4/12/15). Das gleichgeschlechtliche Paar, die Alleinstehende und drei heterosexuelle Paare wiesen darauf hin, dass hierzulande Heterosexualit?t eine Voraussetzung f?r eine legale Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin sei. Dies entspr?che nicht der gesellschaftlichen Realit?t. Sie forderten, dass die M?glichkeiten der medizinisch assistierten Fortpflanzung auch f?r jene zur Verf?gung stehen soll, die in einer vom Normaltypus abweichenden Familienkonstellation leben, wie gleichgeschlechtliche Paare oder Alleinstehende. Angenommen wurde dabei, dass die Familienform keinen Einfluss auf die Qualit?t dieser Beziehungen habe (I.4/8/10w/12/14w).

Ferner merkte eine Interviewpartnerin an, dass es bei der Zeugung eines Kindes mithilfe der Reproduktionsmedizin eine Reihe von Faktoren gebe, die nicht kalkulier- oder beeinflussbar seien (I.6). Eine Befragte bem?ngelte, dass fremde Personen wie ?rztInnen und BiologInnen an der Familiengr?ndung beteiligt seien. Diese griffen in die Intim- und Privatsph?re eines Paares ein. Zudem sei die Behandlung ein schwerer Eingriff in den weiblichen K?rper (I.3w). Drei Paare hatten Sorgen wegen des Risikos von Mehrlingsschwangerschaften und -geburten und der damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren f?r Mutter und Kind (niedriges Geburtsgewicht, niedrige Geburtsgr??e, Gefahr der ?berforderung f?r die Eltern). Die Paare lehnten jedoch Mehrlingsabtreibungen oder selektive Fetozide ab und bef?rworteten die hierzulande geltende gesetzliche Regelung – Transfer von maximal drei Embryonen -, die das Risiko reduziere, dass sich Mehrlingsschwangerschaften entwickeln. In diesem Zusammenhang kritisierten einige Paare die Situation in anderen L?ndern (z. B. USA), in denen die Zahl der transferierten Embryonen nicht gesetzlich begrenzt sei, woraus z. T. Achtlingsschwangerschaften resultierten. Diese Regelungen seien wider der menschlichen Natur, weil nat?rliche Zeugungen nie zu Achtlingsschwangerschaften f?hrten. Zudem seien diese Regelungen unverantwortlich f?r das gesundheitliche Wohl der Kinder und der Mutter (I.2/7/9). Zwei Paare empfanden, dass die Reproduktionsmedizin z. T. noch immer ein gesellschaftliches „Tabuthema“ sei (IT. 1, S. 18, Z. 5). Sie begr?ndeten dies damit, dass nur ein verh?ltnism??ig kleiner Bev?lkerungsteil auf die Fortpflanzungstechnologien zur Familiengr?ndung angewiesen sei (I.1/7). Ein Paar sah in der voyeuristischen Berichterstattung der Boulevardmedien, etwa ?ber anonyme Samenspenden, einen Grund, dass gesellschaftliche Vorurteile gegen?ber der Reproduktionsmedizin entst?nden. Das Paar erkl?rte, dass es wenig hilfreich sei, wenn Eltern, die eine Samenspende nutzten, in Fernsehreportagen hinter einer Wand mit verzerrter Stimme pr?sentiert werden. Dies z?ge die Thematik in die „Ecke des Anr?chigen“ (IT.15, S. 36, Z. 44-53).

Trotz Kritik und Bedenken sahen alle Paare in der Reproduktionsmedizin eine gute M?glichkeit, ein leibliches Kind zu bekommen. Die Reproduktionsmedizin unterscheide sich nicht von anderen medizinischen Therapien und Behandlungen. Sechs Paare waren der Ansicht, dass die in Deutschland bislang nicht erlaubten Fortpflanzungstechnologien, wie Leihmutterschaft oder Eizellenspende (vgl. Kap. 2.1.3), ungewollt kinderlosen Paaren zur Verf?gung stehen m?ssen. Diese sollten aber nur angewendet werden d?rfen, wenn Fertilit?tsst?rungen sie erforderlich machten (I.1/2/4/5/7/9). Die Leihmutterschaft wurde aber auch kritisch betrachtet: So wiesen einige Paare auf die hohen finanziellen Kosten f?r die Paare, die eine Leihmutterschaft beanspruchen, hin und die Gefahr der Ausbeutung von finanziell schlechter gestellten Frauen, die sich als Leihmutter zur Verf?gung stellen. F?r die Leihm?tter sei der psychische Stress sehr hoch, weil durch die Schwangerschaft eine Bindung zu einem Kind hergestellt werde, das nach der Geburt abgegeben werden m?sse. Ferner wurde kritisiert, dass eine Kontrolle der Schwangerschaftsbedingungen durch die genetischen, sozialen Eltern nicht gew?hrleistet sei (I.1-4/8). Eine Interviewpartnerin wies darauf hin, dass Leihmutterschaften nicht legitim seien, wenn die „AuftraggeberInnen“ egoistische Motive verfolgen (z. B. um k?rperliche Neben- und Nachwirkungen einer Schwangerschaft zu umgehen, I.7). Pr?natale Adoptionen bzw. Embryonenadoptionen (vgl. Kap. 2.1.3) wurden von einem Paar angesprochen und abgelehnt, weil es bereits gen?gend Kinder g?be, die zur Adoption freigegeben sind (I.1). Eine Befragte lehnte Leihmutterschaft, Eizellen- und Samenspenden, Embryonenadoption ab, da sie in einem Kind das verbindende Element zwischen einem Paar sah. Zudem sollten von genetischer oder biologischer Seite keine fremden Personen (z. B. Samenspender) in die Familiengr?ndung involviert sein (I.3w).