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Reproduktionsmedizin - 5.3 Weg zur Kinderwunschbehandlung oder privaten Samenspende

5.3 Weg zur Kinderwunschbehandlung oder privaten Samenspende

 

Im Folgenden wird dargelegt, welche Motive und Begründungen die InterviewpartnerInnen angaben, sich für eine reproduktionsmedizinische Behandlung bzw. private Samenspende zu entscheiden. Zu den Familiengründungen durch DI und private Samenspende wird aufgeführt, welche Kriterien für die Auswahl der Spender von Bedeutung waren. Das Kap. endet mit der Darstellung der Alternativen zu einer medizinisch assistierten Fortpflanzung, die von den Befragten in Betracht gezogen und im Vergleich zur Kinderwunschbehandlung bewertet wurden.

Nach der Diagnose wurden die Paare von den ÄrztInnen auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Kinderwunsch bei einer vorliegenden Fertilitätsstörung mithilfe der Reproduktionsmedizin realisiert werden kann (I.1-9/11-13). Die Paare begründeten ihre Entscheidung für die Inanspruchnahme der medizinisch assistierten Fortpflanzung damit, dass sie die bestehenden medizinischen Möglichkeiten nutzen und ausschöpfen wollten (I.1-5/7/9/11-13) und/oder die Realisierung des Kinderwunsches oder die Familiengründung nicht länger aufschieben wollten, weil die Chancen auf eine Schwangerschaft bei der Kinderwunschbehandlung sinken, wenn die Patientinnen 35 Jahre und älter sind (I.3/4/7/8/10/12/15). Sie wollten die reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten nutzen, weil sie ihre Eigenschaften weitergeben bzw. in einem Kind vereint sehen wollten und sich ein leibliches bzw. genetisch eigenes Kind wünschten (I.1-6/8/11-13). Drei Paaren war das Erleben einer Schwangerschaft wichtig (I.3/6/8 ).

Auf die Möglichkeit einer anonymen Samenspende wurde ein Paar von seinem Arzt nach drei erfolglosen ICSI-Versuchen hingewiesen (I.15). Bis zur Entscheidung zur DI verging etwa ein halbes Jahr, in dem sich das Paar im Internet und in Büchern darüber informierte. Die Befragte berichtete, dass es für sie zunächst unvorstellbar war, ein Kind von einem Fremden auszutragen, dessen Charaktereigenschaften, äußerliches Erscheinungsbild und Motive zur Samenspende sie nicht kenne. Für den Interviewpartner kam eine DI zur Familiengründung in Betracht, weil aus seiner Sicht die Liebe zu einem Kind nicht durch die genetische Verbindung bestimmt werde. Diese Einstellung entwickelte er, da er während des Studiums regelmäßig ein Kind von einer Kommilitonin betreute, das heute sein Patenkind sei und das er wie sein Eigenes liebe. Das auslösende Moment für dieses Paar, sich schließlich für eine DI zu entscheiden, war ein Treffen mit anderen Spendersamenfamilien. Dabei erfuhren die Befragten, dass nahezu alle DI-Familien, die an dem Treffen teilnahmen, vor der anonymen Samenspende ähnliche Bedenken hatten. Das Paar nahm diese Familien trotz der fehlenden genetischen Bindung zum sozialen Vater als stabil wahr, die sich zumindest äußerlich nicht vom Normaltypus der Familie unterschieden. Außerdem begründete das Paar die Entscheidung damit, dass eine DI einer natürlichen Familiengründung nahe käme, weil eine Schwangerschaft miterlebt werden könne.

Das Paar erzählte, dass die reproduktionsmedizinische Klinik, die sich in Deutschland befindet und in der es sich behandeln ließ, die Spendersamen aus Dänemark bezog. Das Paar berichtete, dass dies entscheidende Vorteile hatte, was es folgendermaßen begründete: Während in Deutschland die MedizinerInnen den deutschen Spender nur nach gesundheitlichen Kriterien (z. B. keine Erbkrankheiten, HIV-negativ) und äußerlichen Ähnlichkeiten zum sozialen Vater auswählten, seien von dänischen Spendern ausführliche Profile verfügbar, in denen neben Gesundheitszustand und Aussehen, Informationen über Erbkrankheiten bis zur Generation der Großeltern, Bildungshintergrund, Ernährungsgewohnheiten, äußerliche Merkmale, persönliche Einstellungen (z. B. Lieblingsfarbe, -tier usw., politische Sichtweisen), Interessen, Freizeitaktivitäten und Motivation zur Samenspende enthalten wären. Das Paar argumentierte, dass es durch diese detaillierten Informationen mehr Sicherheit gewann, was die Persönlichkeit des Spenders ausmache, und sich seine Entscheidungsautonomie bewahre, da nicht MedizinerInnen, sondern sie selbst als zukünftige Eltern den Spender auswählten. Zudem gaben die Befragten an, dass der Spender durch das Profil zumindest teilweise, sowohl für sie als auch ihr Kind, seine Anonymität verliere. Neben den Faktoren, nach denen auch in Deutschland ein Spender ausgesucht wird, waren dem Paar Merkmale wie das Bildungsniveau wichtig, das ähnlich dem des sozialen Vaters sein sollte, individuelle Einstellungen sowie Motive zur Samenspende. Die Gründe, warum die Äußerlichkeiten bedeutend waren, obwohl dem sozialen Vater eine genetische Verbindung zum Kind weniger wichtig war, wurden nicht differenziert erfragt. Das Paar entschied sich für einen Medizinstudenten, da es vermutete, dass er aus finanziellen Gründen oder fachbezogenen, beruflichen Interessen spendete. Es nahm den Spender durch das Profil, das in einem Fließtext verfasst wurde und nicht durch vorgefertigte Antwortkategorien, als humorvoll, integer, sympathisch und bodenständig wahr. Diesen Eindruck gewann das Paar z. B. durch die Antworten auf Fragen nach den persönlichen Interessen oder politischen Einstellungen.

Bevor sich die Alleinstehende (I.10w) für eine private Samenspende entschied, führte sie eine Beziehung mit einem Mann, bei dem eine Fertilitätsstörung vorlag. Sie wollte zunächst versuchen, den Kinderwunsch mithilfe der Reproduktionsmedizin zu realisieren. Dem Partner erschien das Risiko zu hoch, dass Fehlbildungen oder Mehrlingsschwangerschaften infolge der medizinisch assistierten Fortpflanzung auftreten. Da er sich weder auf eine Adoption als Alternative zur Behandlung oder einen Singletransfer (ET von einem Embryo zur Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften) einlassen wollte, kam es schließlich zur Trennung. Ein halbes Jahr später recherchierte die Befragte im Internet, tauschte sich mit „Single-Müttern“ über die Möglichkeiten zur Realisierung des Kinderwunsches aus und entschied sich zunächst für eine IVF mit Spendersamen im Ausland. Diesen Plan verwarf sie jedoch, da ihr diese zu kostenintensiv und zeitaufwendig erschien. Zudem hatte sie den Wunsch nach einem „greifbaren Vater“ (IT 10, S. 7, Z. 34) bzw. „Yes-Spender“ für das Kind. Einen neuen Partner fand die Befragte nicht, mit dem sie den Kinderwunsch realisieren konnte. Sie traf zufällig einen homosexuellen Mann, der ebenfalls einen Kinderwunsch hatte und zur Samenspende und zur sozialen Vaterschaft bereit war. Nach einigen Monaten, in denen sie sich persönlich näher kennenlernten, entschied sie sich, seine Samenspende zu verwenden. Nachs sechs Inseminationen, die sie selbst und ohne ärztliche Hilfe vornahm, wurde sie schwanger und bekam einen Sohn.

Das gleichgeschlechtliche Paar , für das in Deutschland keine legale Möglichkeit für eine Kinderwunschbehandlung besteht (vgl. Kap. 2.1.3), lehnte eine Behandlung im Ausland ebenfalls wegen des hohen zeitlichen und finanziellen Aufwands ab und entschied sich für eine private Samenspende (I.14). Dem Paar war wichtig, dass ein Spender einen Kinderwunsch habe und auch zur sozialen und rechtlichen Vaterschaft bereit sei, damit die Unterhaltszahlungen gewährleistet seien und das Kind den Spender kennenlernen könne. Das Paar verdeutlichte im Gespäch, dass das Vorhandensein eines genetischen und sozialen Vaters nicht dazu diene, damit ein Mann präsent sei, an dem sich das Kind orientieren könne, weil im familiären und sozialen Umfeld genügend männliche Bezugspersonen zur Verfügung stünden. Die Präsenz eines genetischen und sozialen Vaters hielt eine Interviewpartnerin (I.14w) für relevant, weil sie selbst mit einem Vater aufwuchs, wobei im Interview nicht erfragt wurde, wie sich ihr sozialisiertes Bild von der Familie gestaltet. Des Weiteren sollte der Spender „(…) nicht ganz hässlich, nicht ganz dumm und gesund (…)“ sein (IT 14, S. 4, Z. 2ff.). Aus welchen Gründen dem Paar diese Kriterien wichtig waren, wurde ebenfalls nicht erklärt. Bislang ist homosexuellen Paaren der Zugang zu deutschen Samenbanken verwehrt (vgl. Kap. 2.1.3). Sie inserierten im Internet, dass sie einen privaten Samenspender suchen. Einige Spender, die sich meldeten, begründeten ihre Motivation zur Samenspende nur damit, dass sie sich fortpflanzen möchten. Bei der Wahrnehmung der Vaterschaft legten sie ihren Fokus lediglich auf das Gewähren von materiellen Dingen (Geschenke, Urlaubsreisen mit dem Kind). Das Paar entschied sich jedoch für einen Spender, der ihre Kriterien erfüllte und lernte ihn vor der Samenspende per Email, telefonisch und persönlich kennen. Die Interviewpartnerin (I.14w1), die eine Schwangerschaft erleben wollte, wurde nach der ersten selbst vorgenommenen Insemination schwanger und bekam einen Sohn. Zwei Jahre nach der Insemination brach der Spender den Kontakt zum Paar aus persönlichen Gründen ab. Dadurch war nicht mehr gewährleistet, dass das Kind den Spender kennenlernen kann. Dies hatte Konsequenzen für die Suche nach einem Spender für das zweite Kind: Das Paar gab den Wunsch nach einem Spender, der die soziale und rechtliche Vaterschaft wahrnimmt, auf, weil beide Geschwister gleichgestellt sein sollten. Das Paar gab an, dass sich im Internet auch Samenspender zur Verfügung stellten, die privat spenden, und suchte nach Anzeigen von „No-Spendern“, die seine Kriterien erfüllten. Das Paar kontaktierte zwei solcher Spender. Der Erste kam wegen fehlender Gesundheitsnachweise nicht in Frage; die Wahl fiel auf den zweiten potenziellen Spender, der die verbleibenden Kriterien erfüllte, aber aus dem Paar unbekannten Gründen nicht zur Spende bzw. Insemination erschien. Für das zweite Kind wurde letztlich die Spende eines Arbeitskollegen einer Partnerin (I.14w2) in Anspruch genommen, der sich nach einem Gespräch mit ihr zur genetischen, nicht aber zur rechtlichen und sozialen Vaterschaft bereit erklärte.

Für gleichgeschlechtliche Paare gibt es kaum Alternativen zur privaten Samenspende oder reproduktionsmedizinischen Behandlung im Ausland, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen, daher wurden im Interview dazu keine Fragen gestellt. Einige Paare sahen in einer Adoption von Anfang an eine Alternative zur Behandlung, da ihnen entweder die genetische Verbindung zwischen Eltern und Kind wenig bedeutete (I.7/9/11w/15) oder weil sie positive Erfahrungen mit Adoptivfamilien im sozialen Umfeld (I.13w) gemacht hatten. Davon informierte sich ein Paar parallel zur Kinderwunschbehandlung über das Adoptionsverfahren, forderte den Antrag von den zuständigen Behörden an und tauschte sich mit Adoptiveltern aus (I.15). Andere InterviewpartnerInnen wollten dem Weg der Adoption erst folgen, wenn die medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft seien (I.1-3/4w/5/6w/10w). Zwei Paare wollten erst ein leibliches Kind, weil ihnen wichtig war, ihre Eigenschaften an den Nachwuchs weiterzugeben, und sahen in der Adoption eine Möglichkeit, weitere Kinder zu bekommen bzw. den zur Adoption freigegebenen Kindern zu helfen (I.1/5). Für zwei Paare wurde eine Adoption erst zur Option, als sich Fehlversuche im Behandlungsverlauf häuften, wodurch der Wunsch nach einem leiblichen Kind sowie dem Schwangerschaftserleben in den Hintergrund rückte (I.8/13).

Die Kinderwunschbehandlung wurde von den meisten Befragten gegenüber einer Adoption bevorzugt. Dies wurde damit begründet, dass das Adoptionsverfahren in Deutschland langwierig, mit höheren finanziellen Kosten als eine Kinderwunschbehandlung und generell mit geringen Chancen verbunden sei, insbesondere für Personen ab 40 Jahren (I.3-5/9/11m/12). Paare, denen die biologische, genetische Verbindung zum Kind wichtig war, befürchteten darüber hinaus Probleme und Konflikte in der Beziehung mit dem Adoptivkind, weil die genetische Verbindung fehle und der familiäre Hintergrund des Kindes sowie die Bedingungen, unter denen das Kind bis zum Zeitpunkt der Adoption gelebt habe, unbekannt seien (I.3/4). Negative Erfahrungen mit Adoptionen im familiären Umfeld bedingten bei zwei Paaren, dass eine Adoption nicht in Betracht kam (I.11m/12). Auslandsadoptionen wurden von zwei Befragten angesprochen: Eine Interviewpartnerin konnte sich aufgrund ihres russischen Migrationshintergrundes eine Adoption eines russischen Kindes vorstellen (I.6w); dies kam jedoch für ihren Partner nicht in Frage. Er setzte Auslandsadoptionen mit Kinderhandel gleich, den er nicht unterstützen wolle (I.6m). Eine weitere Befragte bemerkte, dass man aus dem Ausland adoptierte Kinder kulturell entwurzle, was sie ihnen nicht zumuten wolle (I.9w).

Neben einer Adoption konnten sich einige Befragte eine Lebensperspektive ohne Kind vorstellen, falls die reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft seien (I.2m/3/10w). Für eine Befragte war denkbar, dass sie die Kinderlosigkeit mit beruflichem Engagement kompensiert (I.3w). Drei Paare, die mithilfe der ICSI bzw. IVF behandelt wurden, konnten sich eine Familiengründung durch DI oder Eizellenspende vorstellen, falls der Kinderwunsch nach der IVF oder ICSI unerfüllt bliebe. In diesen Verfahren sahen sie gegenüber einer Adoption den Vorteil, dass eine Schwangerschaft erlebt werden könne und die biologische, genetische Elternschaft zumindest für einen Partner gegeben sei (I.6m/9/10w/12).