Idee/Tipp -  betr Dyspraxie+Hörverarbeitungsstörungen: DGS lernen hilft mir!

biene63

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Meine Gründe zum und Erfahrungen beim Erlernen der Deutschen Gebärdensprache

Seit Februar 2002 bin ich als „ADSlerin und von SI-Störungen betroffen" diagnostiziert. Ich erhalte mit gutem Erfolg Amphetamin (kombiniert mit Imipramin) und seit April 2002 Ergotherapie.

Ebenfalls seit April 2002 erfülle ich mir meinen Wunsch, die Deutsche Gebärdensprache ( D G S ) zu erlernen. :love1
Bei meiner Motivation zum Erlernen der DGS kann ich zwei Haupthemen kennzeichnen:
1. Das Gebiet meiner „möglichen, weil niemals korrekt diagnostizierten" Hörverarbeitungsstörungen
2. Das Gebiet meiner SI-Störungen im Bereich der Kinästhetik

Bereich Hörverarbeitungs-Störungen:
=>In der Kindheit (*1963) hatte ich oft Erlebnisse, dass während einzelner Gespräche mein Hören zeitversetzt zum Sehen verarbeitet wurde. Die Wirkung war die eines schlecht synchronisierten Filmes und in der Folge im sozialen Kontakt „die GLASWAND" !. :wand Das alles hat mir fürchterliche Ängste bereitet, besonders weil ich meine Erfahrungen niemandem mit-teilen konnte: Ich konnte sie mit niemandem teilen. Weder meine Eltern, noch die weitere Familie, noch Lehrer oder Sporttrainer, Ausbilder, sogenannte Freunde und Kollegen oder Ärzte. Keiner wollte / konnte mit diesem Thema belastet werden. Für jeden war es die einfachste Erklärung, mich wahlweise als „noch ein Kind und deshalb phantasiereich", „ungeschickt und dumm", später als „verrückt" und / oder „Hypochonder" zu betiteln. :respekt
=>Um mir selbst Hilfe zu geben, entdeckte ich nach einiger Zeit, dass ich meine Hörprobleme auf zwei Arten regulieren konnte:
=>1. Möglichkeit: Im Gespräch das Vermeiden von Blickkontakt mit Konzentration auf die Sprachmelodie. Den Sinn des Gesagten erfasse ich auch, aber nur ungenau. Im Gegensatz dazu habe ich ein exellentes musikalisches Gehör. Wirkung: Soziale Probleme, da mein Gegenüber meint, ich hörte nicht zu. :rolleyes:
=>2. Möglichkeit: Im Gespräch das Ausblenden des Hörens („auf taub schalten"). Nun auf Mundbild, Mimik, Körpersprache, Gestik achten. Blickkontakt zum Gegenüber ist nun möglich, d.h. weniger soziale Probleme. Leider geht auch ein großer Teil der Sachinformation verloren. :(
=>Aus den Möglichkeiten „1" und „2" entwickelte ich eine Technik, zwischen beidem in schnellem Tempo zu wechseln. è Wirkung: Nun konnte ich dem Gespräch folgen, hatte zeitweise Blickkontakt, bekam ungefähr ¾ der Sachinformation mit.... Und es war äußerst anstrengend! :heul Spontanität unmöglich! Small Talk wurde bzw wird von mir nach Möglichkeit vermieden, um meine Kraft für den Transport von mündlichen Sachinformationen aufzusparen.
=> Ich entwickelte zusätzlich die Technik, soziale Kontakte soweit wie möglich am Telefon (Blickkontakt nicht notwendig!) oder aber schriftlich (noch besser!) vorzubereiten. Auch für diese Technik brauche ich ungeheure Kapazitäten an Kraft und Zeit. Auch hierbei geht jegliche Spontanität verloren. :lhg
=>Ich suchte nach einem Weg, der es mir gestatten würde, soziale Kontakte „einfach so" und vor allem ganzheitlich erleben zu können...

SI-Störungen im Bereich der Kinästhetik:
=>Als Kind wusste ich nicht, Richtungen zu unterscheiden. Es existierte kaum Gespür für Körperschema / Körperbild. ?(
=>Nachdem ich schreiben konnte (ca 7 Jahre alt), entwickelte ich die Technik, mental die Gegenstände im Raum um mich herum „zu beschriften". (Die Decke hatte das Wort „oben", der Fußboden „unten", bestimmte Dinge im Raum „vorne / hinten" bzw „rechts / links". Das Problem hierbei war, dass Gegenstände im Raum statisch sind und sich nicht mit mir bewegten. D.h. wenn ich mich umdrehte, waren nun „vorne/hinten" bzw „rechts/links" auf der verkehrten Seite!
=> Die Erziehungsversuche meiner Eltern, mir in den stetig wiederholten stundenlangen Vorträgen und duch Schläge bzw sonstige phantasievolle Sanktionen, das zu vermitteln, was ich intellektuell längst wusste, aber über den Körpersinn nicht erfassen konnte, erwiesen sich als...... (Thema in die Mülltonne!) :uebel
=> Die Unfähigkeit, mir Richtungen und Bewegungen meines Körpers zu merken, war katastrophal für den Sportunterricht, für alle Bewegungs-Abläufe im Alltag. Beispiel: In welche Richtung muss ich nun diese Flasche öffnen oder schließen, jenen Schlüssel im Schloß drehen, habe ich soeben auf- oder zugeschlossen? Täglicher permanenter Kleinkrieg mit Knöpfen, Reißverschlüssen, Schreibschrift. Motto: „Hach, wie komisch, wir haben Mister Bean in der Familie! Kommt mal alle rum und guckt Euch die bescheuerte Inge an, die kriegt die einfachsten Dinge nicht zustande!" :angryfire
=>Hilfe war weder für mich, noch für die von mir und meinen „idiotischen Geschichtchen" völlig überforderte Familie möglich! :wand
=>Sinnvolle Hilfe zum Thema „Bewegungs-Schulung" habe ich durch einen anderen Menschen erstmals während meiner Fahrschulzeit erfahren (1985). Unzählige Male hatte meine Fahrlehrerin mir die die Hände geführt, um mir Bewegungsabläufe zu verdeutlichen. :idee
=> Wirkung: Zum Ende der Fahrschulzeit hatte ich ein internes, körpereigenes Gefühl für rechts und links entwickelt!!
=> 1995 bin ich alleinerziehend mit beiden Söhnen in eine neue Wohnung gezogen. Um mir besser merken zu können, in welche Schublade ich irgendeinen Gegenstand gelegt hatte, färbte ich die Holzfronten mit Seidenmalfarbe und beschriftete sie bezgl des Inhaltes. :idee (Grund: Sonst waren die Sachen immer „verschwunden", weswegen ich alles immerzu und x-mal neu kaufte!). Nach ca 3 Monaten hatte ich ein inneres Bewusstsein entwickelt, welcher Gegenstand bei welcher Farbe „wohnt".
=>Um meinen „ADS"-Kindern das „Ordnung halten" zu erleichtern, kam mir die Idee, viele Schuhkartons zu besorgen. Dazu überlegte ich mir, mit welchen Farben ich die „Ordnungs-Themen" codieren könnte. :idee So gilt jetzt für uns drei: rot=Patrick; blau=Ralf; orange=Wohnung; grün= Elternarbeit; weiß= ich Beruf; gelb= ich privat: Dieses Prinzip wird angewandt bei den vielen Büchern, Dokumenten, Ordnern, Fronten der Schuhkartons als Inneneinrichtung von Kleider-und anderen Schränken, Bügel usw. è Wirkung: Ich und die Kinder wissen jetzt die „Adressen" der (codierten ) Gegenstände!
Seit April 2002 erfahre ich nun Vergleichbares im Bereich der Bewegung:
=>Genauso wie die Gegenstände in meinem Leben eine „Adresse" benötigen, damit ich ihren Platz erinnern kann, erlebe ich jetzt sehr positiv: Durch das Training der Gebärdensprache (also visuell / kinästhetische „DGS-Vokabeln" geordnet nach raumgreifender „DGS-Grammatik") werde ich zunehmend befähigt, Bewegungen präzsise auszuführen, zu erinnern, sowie nun immer komplexere Bewegungsabläufe der Gebärden-Gespräche zu gestalten.:idee
=>Ich werde zunehmend geschickter darin, meine Bewegungen zu unterscheiden nach Richtung, Körperebene und im Erfahren des Raumes um mich herum. :sonne

So hat das Erlernen der Gebärdensprache für mich etliche positive Wirkungen:
1. Bewegungen können von mir präzise erinnert und ausgeführt werden, sofern sie als „Gebärden-Adresse" codiert sind.
2. Soziale Kontakte sind mir jetzt im Kontakt mit Gebärdensprechern „einfach so" möglich, sofern ich zum Thema genügend Gebärden-Vokabeln beherrsche.
3. Sofern meine Vokabel-Kenntnisse noch unzureichend sind, erlebe ich wiederum die beschriebene „GLASWAND". Doch ist „diese Glaswand" nun „normal", weil sowohl den Gehörlosen die alltäglichen Kommunikations-Barrieren mit Hörenden vertraut sind, als auch alle Kurs-Teilnehmer im Unterricht die Barriere der Gebärden-Sprachlosigkeit und damit „diese Glaswand" erleben. Nun bin ich nicht immerzu nur der komische Vogel, sondern so wie alle anderen auch. :respekt
4. Meinen bisherigen Gebärden-Lehrern (Visual Hands: Gunter Trube, Simone Lönne, Mathias Schäfer) hatte ich frühzeitig, aber voller Angst meine Lern-Probleme offenbart. Für mich zum Glück, hatten bzw haben sie alle das Talent, weil/obwohl selbst gehörlos, sich in die Fähigkeiten der (hörenden!) Kursteilnehmer einzufühlen.
5. Es ist für mich so heilsam, wenn die „GLASWAND" sich nun in Kontakt und Kommunikation auflöst: Mit dieser neuen Möglichkeit werden bei mir uralte Bedürfnisse gestillt: Endlich!!: direkten, unverstellten menschlichen Kontakt zu erleben! Wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages sogar Freude daran entwickeln, mich mit anderen Gebärdensprechern in Small Talk zu wälzen und Stunden mit „sinnlosem Geschwätz !?" zuzubringen? :maldrueck
Wieso schreibe ich diesen Text? Welche Wirkung erhoffe ich mir für mich oder den Leser?
1. Gerne hätte ich mit meinen Kindern mehr Kontakt als bisher zu anderen Menschen mit ADS. Wir bieten zum Thema ein breites Angebot:
· Ich (biene, 40J): mit ADS und SI.
· Ralf, 15J: HKS mit SI und Erfahrung mit extremer Winkelfehlsichtigkeit
· Patrick, 12.J: schwerhörig und SI mit ADS und autistischen Zügen.
2. Anregung zur themenbezogenen Diskussion der interessierten / betroffenen Personen; ob nun Fachkraft oder nicht.
3. Einladung an ADSler, selbst auch Gebärdensprache zu lernen.
=>ADSler haben in ihrer Entwicklung meines Erachtens nach so oft Parallelen zur Entwicklung frühkindlich Gehörloser. Beispiele: ausgeprägtes visuelles Denken, Erfahrung der Ausgrenzung und des permanenten Andersseins, Erfahrung, die eigenen Bedürfnisse z.T. über Jahre nicht kommunizieren zu können.
=>Meiner Meinung nach, sind hörende ADSler prädestiniert, eine Brücke der Kommunikation zwischen der Visuell-Welt der Gehörlosen und den hörenden „Normalos" zu bilden. :lough1
=>Solch eine Verbindung könnte durchaus zu einer Symbiose zwischen ADSlern und Gehörlosen werden: Aus Notwendigkeit hat die Gehörlosen-Gemeinschaft ihre eigene Sprache, Poesie, Traditionen, das Selbstverständnis als Gehörloser o.k. zu sein, entwickelt.
=>Ein derartiges Selbstverständnis müssen ADSler als Gruppe hingegen erst noch entwickeln. ADSler können von Gehörlosen also viel lernen. :respekt

Kontakte:www.visualhands.de ; Gruß biene63
 

Katharina20

*junge Mami..*
Da diese Userin noch Mitglied hier ist, schreibe ich hier.


schön, dass dir DGS geholfen hat. Das freut mich zu hören.

Ich kann DGS auch und da mein Sohn schwerhörig ist, kommunziere ich mit ihm auch in DGS ;-)
 
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