Wichtig -  Down-Syndrom... Teil 2

S_A_M

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Die körperliche Gesamtentwicklung von Kindern mit Down-Syndrom (z.B. im Bereich der Motorik und Lautsprachentwicklung) ist in aller Regel deutlich verzögert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei u.a. eine den ganzen Körper betreffende Muskelschwäche, die sich durch Krankengymnastik und spezielle Trainingsübungen zu einem großen Teil ausgleichen lässt. Sie sorgt z.B. dafür, dass betroffene Kinder beim Stillen schnell ermüden, wie sie sich sehr anstrengen müssen, sie werden später krabbeln, sitzen, stehen und laufen lernen (aber sie werden es lernen!) usw.
Mit der Muskelschwäche hat übrigens auch zu tun, dass viele Menschen mit Down-Syndrom ihre Zunge ein stückweit aus dem Mund herausgucken lassen und gerade im Kindesalter meist mühelos einen Spagat hinbekommen. Die ungewöhnliche Dehnbarkeit der Muskeln und Sehnen macht eben vor keiner Körperpartie Halt, leider auch nicht vor den Muskeln, die für die Blasen- und Darmkontrolle nötig sind. Die meisten Kinder mit Down-Syndrom brauchen daher meist sehr viel länger als nichtbehinderte Kinder, um „sauber“ zu werden.

Die kognitive Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom ist ebenfalls verzögert, man spricht in der Umgangssprache vom Vorliegen einer mehr oder weniger ausgeprägten „geistige Behinderung“.

Das Entwicklungstempo ist je nach Art der Trisomie 21 (es gibt drei verschiedene Formen: Freie Trisomie 21, Translokations-Trisomie 21 und Mosaik-Trisomie 21) und insbesondere auch je nach Qualität und Quantität der (Früh-)Förderung und Forderung sehr unterschiedlich. Früher ist man davon ausgegangen, dass insbesondere im Hinblick auf die kognitive Entwicklung Menschen mit Down-Syndrom über den Stand von acht-, neunjährigen Kindern nicht hinauskommen. Heute weiß man es besser: Menschen mit Trisomie 21 sind prinzipiell fähig, bis ins hohe Alter zu lernen und werden auch intellektuell-kognitiv erwachsen, wenngleich ihre Denkstrukturen (insbesondere was das abstrakte Denken angeht) in der Regel „einfacher“ sind, als die nichtbehinderter Menschen.

Entgegen hartnäckigen Meinungen ist nur ein geringer Prozentsatz der Menschen mit einem Down-Syndrom als kognitiv schwerbehindert einzustufen. Nahezu alle Kinder lernen heutzutage mit den nötigen Hilfestellungen lesen, schreiben und rechnen, viele besuchen integrative Kindergärten und Schulen, manchmal ist sogar der Besuch von Regeleinrichtungen möglich. Es ist sogar ein Fall bekannt, in dem ein spanischer Mann mit Down-Syndrom (Pablo Pineda) "normal" studiert hat und nun als Lehrer arbeitet. Dies ist allerdings tatsächlich ein Ausnahmenfall, der aber zu denken geben kann.

Die meisten erwachsenen Menschen mit Down-Syndrom sind mit geeigneter Unterstützung heutzutage durchaus in der Lage, ein relativ eigenständiges Leben außerhalb des Elternhauses zu führen, und leben z.B. in Wohnstätten für Menschen mit Behinderung oder auch in eigenen Wohnungen oder Wohngemeinschaften mit individueller pädagogischer Betreuung und Assistenz. Die meisten können arbeiten gehen, mitlerweile auch „normalen“ Arbeitsplätzen wie z.B. in Kindergärten, Großküchen und Hotelbetrieben anstatt in den üblichen Werkstätten für Menschen mit Behinderung (obgleich diese immer noch die Arbeitsplätze bieten, in denen den die meisten betroffenen Menschen Anstellung finden).

Kinder mit Down-Syndrom werden oft als lieb, genügsam usw. beschrieben. Ich kenne keines, dass es nicht wäre, in der Regel sind sie mit ihrem offenen, freundlichen Wesen sogar der Mittelpunkt der Familie, der "Sonnenschein" ihrer Eltern und Großeltern. Aber ich kenne auch kein Kind mit Down-Syndrom, dass nicht in erster Linie Kind wäre und auch wie jedes andere Kind bockige, sture, launische, uneinsichtige, quengelige und nervige Phasen hat, irgendwann in die Pubertät kommt, in der es dann „richtig kracht“ und schließlich erwachsen wird, was ja auch mit diversen Streitereien, Meinungsverschiedenheiten einhergeht. Schwierig ist auch, dass viele Kinder mit Trisomie 21 ausgesprochene Weglauf-Kinder sind, die ihre Umgebung gerne mal auf eigene Faust erkunden und damit Eltern, KindergärtnerInnen, LehrerInnen, BabysitterInnen usw. in höchste Panik versetzen können.

Obwohl sie oft als sehr unbedacht, leichtsinnig, blind für Gefahren usw. gesehen werden, kann man natürlich auch Kindern mit Trisomie 21 beibringen, sich in der Gesellschaft angemessen zu benehmen und sich z.B. nicht jedem an den Hals zu werfen, Personen auf der Straße zu beschimpfen, zu fragen, bevor man sich etwas nimmt oder etwas berührt, was einem nicht gehört, die Hände vor dem Essen und nach dem Toilettengang zu waschen, nicht mit dem Essen zu spielen oder herumzuschmieren, an der Hand zu gehen, angeschnallt zu bleiben, nicht dazwischenzusprechen, wenn sich Leute unterhalten und was sonst noch alles dazugehört. Sie sind meiner Erfahrung nach prinzipiell fähig, jede Regel zu lernen und auch einzuhalten, wenngleich dies oft eine ganze zeitlang dauert und vergleichsweise viel Konsequenz von den Eltern und anderen Bezugspersonen fordert, bis ihnen einsichtig ist, warum sie dies tun und jenes lassen sollen.
Vieles, was Erwachsenen logisch erscheint, ist für Kinder ohnehin völlig unverständlich und für solche mit einem Down-Syndrom durch die damit eingehende Einschränkung im kognitiven Bereich meistens besonders.
Problematisch wird es bei vielen Kindern mit Trisomie 21 sogar paradoxerweise oft gerade dann, wenn sie verinnerliche Regeln einmal nicht oder auch gar nicht mehr befolgen sollen.

Von daher könnte man - auch im Bezug auf andere Dinge - sagen, dass ihnen unsere Art von Spontanität und Einsichtsfähigkeit mehr oder weniger fehlt, was natürlich gerade in der Öffentlichkeit nicht ganz einfach zu handhaben ist.

Das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom ist auf seine Weise anders problematisch und schwierig als das Leben mit einem Kind ohne eine solche Behinderung. Es wird wahrscheinlich öfter einen Arzt brauchen (oft wegen erhöhter Infektanfälligkeit im H-N-O-Bereich und eventuell vorhandener Herzfehler und Leukämie), es wird in vielem einfach "mehr" brauchen: Mehr Förderung, weil es viele Dinge nicht selbstverständlich von selbst lernt. Mehr Zeit, um bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Mehr Aufmerksamkeit, weil es viele Dinge nur sehr bedingt einschätzen lernen kann.

Kinder mit Down-Syndrom stellen an ihre Eltern mitunter hohe Ansprüche, sie benötigen mehr Zeit, mehr Begleitung, mehr Förderung, die Eltern werden mit sturen Behörden zu kämpfen haben, mit Intoleranz, Unverständnis, Diskriminierung und verletzenden Kommentaren, aber auch Solidarität, Unterstützung, Hilfe und Ermutigung. Sie werden sich durch Berge von Literatur durcharbeiten müssen und immer wieder an dem Punkt kommen, an dem sie denken „Ich schaff` das alles nicht.“. Manche Eltern trennen sich, weil sie den Stress nicht geregelt bekommen, viele auch, weil jeder eigene Pläne mit dem Kind hat, andere Therapien und Lebenskonzepte für es vorsieht und man nicht auf einen Nenner kommt. Manche kommen auch nicht damit zurecht, sich vom Wunschkind zu trennen und trennen sich somit vom realen Kind und damit gleichzeitig vom Partner. Viele Eltern, die mehrere Kinder geplant hatten, werden sich das noch mal genau überlegen, andere werden sich bewusst für weitere Kinder entscheiden, damit sich ihr Leben nicht nur um das Kind mit Handicap dreht. Sie werden mit vielen Problemen konfrontiert werden, wobei man mal klar sagen muss, dass sie nicht alle auf einmal auf die Eltern einstürzen werden (auch wenn sie manchmal genau dieses Gefühl haben). Sicher macht man sich schon direkt nach der Diagnose Gedanken wie: Und was wird mit Kindergarten und Schule? Was soll es denn mal werden? usw., aber das hat Zeit! Ein Schritt nach dem anderen.

Aber Eltern werden auch erfahren, das gerade Kinder mit Down-Syndrom trotz der Probleme, die die Behinderung mit sich bringt und das „mehr“ das sie benötigen, durch Lebenslust und Fröhlichkeit das Leben der Eltern, Großeltern und Geschwister um vieles bereichern. Und sie werden die Erfahrung machen, dass auch ein Kind mit Down-Syndrom Kind in erster Linie Kind ist und nicht Genfehler.

Das Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 ist natürlich nicht "Friede-Freude-Eierkuchen", aber es ist auch nicht "die Hölle", "eine Katastrophe", "eine Strafe". Ich kenne viele Familien, die ein oder sogar mehrere Kinder mit Down-Syndrom haben (viele entscheiden sich bewusst für Pflegekinder mit Trisomie 21), aber keine ist dabei, die ihr Kind eintauschen würde, keine, die sich nicht nochmal für ihr das "etwas anderes" Kind entscheiden würde.
 
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