Info -  Finnische Schule

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kirena

Guest
Fay hat mich gebeten, mal ueber finnische Schule zu schreiben, da in Deutschland ja gerade solche Beispielschulen im kommen sind, die oft nach finnischem Beispiel gefuehrt werden.

1-9. Klasse: Grundschule. Einschulung mit 7.

Dann kann man aufhören, wenn man will, aber auch weitermachen auf einem Gymnasium oder einer Berufsschule.

1-3. Klasse: Oberschule: 10 Klasse entspricht der 1. Klasse. Man kann aber auch auf 4 Jahre, auf Antrag auf 5 Jahre verlängern.

Innerhalb von 3 Jahren muss man 75 Kurse ablegen. Ein Kurs umfasst 30 Unterrichtsstunden.

Es gibt 50 obligatorische Kurse und etwa genauso viele frei wählbare. Diverse Kurse gibt es in verschiedenen Leistungsstufen, wie z.b. Mathematik als schwer und einfach, Finnisch in Lang (10 Kurse), Mittellang (8Kurse) und Kurz (6 Kurse) und so weiter.

Das also zum Wahlsystem.

Das Schuljahr ist in 6 Perioden eingeteilt, die jeweils ungefähr 4 Unterrichtswochen umfassen und eine bis eineinhalb Testwochen, in denen fuer jedes einzelne gewählte Fach eine Klausur geschrieben wird. Dabei läuft das so ab: Vormittags der Test, nachmittags vorbereitungsstunde fuer den Test am nächsten Tag. So kann man sich auf das lernen konzentrieren und es rollt nicht so eine riesen Lernwelle auf einen zu.

Jede Periode ist eingeteilt in 6 Blöcke, die mit jeweils einem Kurs belegt werden können - so setzt sich der Stundenplan zusammen - Vorteil: man kann sich auf die Kurse konzentrieren und hat nicht ein GANZES Schuljahr hindurch die selben Fächer - sondern wechselt.

Sport gibt es 2 Untterichtsstunden in der Woche und es wird nicht so vertieft, wie im deutschen Sportunterricht, sondern in alles mal reingeschnuppert: klettern, reiten, schwimmen, rudern, rugby, fussball, volleyball, golf...ebend alles..


Teil 2 Gibts morgen..
 
F

Fay

Guest
schonmal danke kirena :kisses

das hört sich ja alles recht anders an

ich freu mich schon auf den zweiten Teil :), und stehe schon mit Fragen bereit ;-)
 
K

kirena

Guest
Teil 2:

Mittagessen gibt es kostenlos. Dann gibt es eine Brunchpause (gut 30 Minuten). Wenn man dort in der Cafeteria etwas essen will, muss man ein Euro pro Tag bezahlen. Dort gibt es dann Tee, Kaffe, Kuchen, Brot und Aufstrich und manchmal auch etwas anderes.

Unterricht geht (ausser Mittwoch und Freitag) von 8.00 bis 15.30. (Wobei man nicht die ganze Zeit Unterricht hat, wenn man nicht alle Blöcke mit Kursen belegt hat).

Lehrer-Schueler-Beziehung

Mein erster Schultag hier, hat mir ganz schön die Luke runterfallen lassen.
Ich sass puenktlich um 7.55 im Klassenzimmer: Mathe. Ein paar andere sassen auch da. Der Lehrer kam um 8.00. Dann kamen im 5-Minuten-takt Schueler eingetrudelt. Ich dachte: ejej, jetzt gibts Ärger. Aber nein: Der Lehrer hat nichtmal aufgeschaut, sondern unterrichtete weiter.

Genau das war ziemlich charakteristisch fuer finnische Schulen:

Lehrer sind keine Sklaventreiber und keine Bestrafer. Ihnen ist es wurscht, wenn man zu spät kommt, nicht zur Schule kommt oder Stunden verpasst. Sie unterrichten, wofuer sie bezahlt werden, und wer das nicht annehmen mag - der muss nicht. Dafuer steckt man hier kein Gemaule ein. Lehrer sind nicht dazu da, rumzunerven. Wenn jemand eine Stunde verpasst hat wird gefragt: wo warst du? -> Krank. -> Aha. Und er schreibt es ins Buch - gut ist.

Man duzt sich und vieles ist freundschaftlicher.

Trinken und Essen ist im Unterricht erlaubt, auch Musik hören in Fächern, wo man nicht so viel zuhören muss sondern allein arbeiten (Mathe, Kunst...z.b.).

Es gibt 2 Studienlaufbahnberater. Alle Schueler sind zwischen diesen aufgeteilt. Man kann dort seinen Stundenplan ändern lassen (Kurse dazu wählen, Kurse abwählen...), sich informieren und sich Extrawuerste braten lassen (wie zum Beispiel einen Kurs nicht besuchen, dafuer nur die Klausur schreiben - wenn man sich fit genug fuehlt ohne Kurs).

Es gibt ein wöchentliches Klassentreffen, wo aktuelles besprochen wird (z.b. welche Termine es gibt, welche Angebote und Informationsstunden die Woche...). Die Klasse hat nicht oft zusammen Unterricht, denn jeder Schueler wählt seine Kurse nur fuer sich und es kann passieren, dass man so gut wie nie mit Klassenkameraden unterrichtet wird. So lernt man eine MENGE Leute kennen ;).

Hausaufgaben: Gibt es in manchen Fächern immer, wie z.b. Mathematik: Uebungsaufgaben. In vielen Fächern heisst es einfach "lernt das.". Ob man das gelernt hat oder nicht - es wird nicht ueberprueft, zeigt sich aber dann in den Klausuren (man kann unmöglich 30 Unterrichtstunden innerhalb von 2 Tagen lernen). Ueberprueft werden Hausaufgaben selten - ich habe erst einen Test mitten in der Unterrichtszeit (ausserhalb der Testphase) geschrieben. Der war angekuendigt.

"Studenten" - Abitur

Es gibt 3 Wege, die man gehen kann:

Gymnasiumsabitur

Man wird in mindestens 4 Pfächern geprueft:
Muttersprache (schwedisch)
Mathematik (schwer) oder englisch
wenn man Englisch nimmt, muss man Mathematik(leicht) schreiben.
Eine Klausur aus folgendem Block: Geschichte, Philosophie, Psychologie, Physik, Chemie, Biologie, Erdkunde, Religion, Ethik

Man kann noch 2 Extraklausuren wählen, um die Gefahr zu mindern, dass man durchfällt (z.b. bei Mathe oder schwedisch...). Hierbei kann man auch Deutsch, Französisch oder Spanisch wählen wenn man mindestens 8 Kurse darin hatte.

Studentabitur

Der Unterschied zum Gymnasiumsabitur ist, dass es auch in Finnland anerkannt wird (Festland) - wir sind ja hier auf einer schwedisch sprachigen Insel - weil man Finnisch im schweren Niveau oder mittelschweren Niveau schreibt.

Schwedisch
Spanisch, Französisch oder Deutsch
Ein Kurs von oben genanntem Block

Auch hier sind 2 Extraklausuren möglich.

Wissenschaftliche Arbeit

Hier wird man ab der Mitte des Schuljahres freigestellt (ab der 4. Periode).
Man erarbeitet bzw. erforscht ein Thema aus folgenden Kursen: Biologie, Erdkunde, Physik, Mathe oder Chemie.
Wöchentlich trifft man sich mit einem Lehrer, der einem Tipps und Ratschläge gibt. Die Arbeit soll ein bisschen an eine Doktorarbeit erinnern.
Am Ende des Schuljahres muss der Schueler seine Arbeit muendlich vorstellen und sie auch verteidigen können (d.h gegen eventuelle Zweifel). Ausserdem geht in diesen Weg auch mitein, dass man die Arbeit eines anderen Schuelers angreifen muss bzw. Schwachstellen herausfiltern soll.

So. Das wars ersteinmal. Fragen?

Ich schreib uebrigens das Gymnasiumsabitur, wer will schon finnisch lernen? ;)

Liebe Gruesse, Kirena
 
F

Fay

Guest
Kein Wunder das ihr im europäischen Vergleich so gut abgeschnitten habt :)

das liest sich ziemlich durchdacht und ich finde es wirklich klasse! Es zielt auf selbstwusste Menschen ab und zeugt von modernen Methoden. Sieht man ja auch an Dir, dass das Ergebnis sich sehen lassen kann :)))

Ich habe wirklich noch zwei Fragen dazu.

mich würde interessieren ob es Noten gibt?

dann habe ich gelesen, dass es keine seperaten Intergrationsschulen gibt, sonder Integrationskinder ganz normal mit Euch zur Schule gehen und auch nicht in seperaten Klassen sind, sondern die Klassen grösstenteils in Kursen getrennt sind und ihren Klassenverband in anderen Fächern wie Musik und Kunst eben mit diesen Kindern haben.
 
K

kirena

Guest
Noten gibt es.

Die Notenskala geht hier von 10-4. Wobei 4 das schlechteste ist und unserer 6 entspricht. Bei 4 ist man durchgefallen. 10 entspricht unserer 1+.

Benotet wird vorwiegend nach dem Klausurergebnis aber auch nach der Aktivität im Unterricht.


Ingerationskinder gibt es HIER gerade sehr wenig, zur Zeit wohl 2 hier an der Schule: mich und eine Freundin von mir aus Rumänien. Wir sind ganz normal in den Klassen, haben unsere eigene Kurswahl. Wir gehen auch in den Schwedisch-Unterricht, wobei wir natuerlich Zugeständnisse fuer den Anfang kriegen (wie z.b. auf Computer schreibn mithilfe eines Wortfinders, der einem das angeklickte Wort uebersetzt). Die Lehrer geben uns auch auf Anfrage deutsche oder englische Literatur zum Thema (wenn wir die schwedisch Buecher nicht verstehen) und auf Anfrage kann man z.b. Klausuren auf englisch schreiben, in Sprachen die Uebersetzungen so machen, dass sie entweder (bei mir jetzt) in deutsch sind, wenn der Lehrer deutsch kann oder bei meiner Freundin (Rumänin) halt nicht schwedische Synonyme, sondern englische Erklärungen und Umschreibungen.

Wir hangeln uns also gut durch. Wenn man etwas in schwedisch nch nicht sagen kann, dann können wir das auf englisch sagen - das kann hier jeder Lehrer sehr gut oder gut.

Es funktioniert also. Einzelne Förderklassen gibt es nicht. Auch Integrationsschulen gibt es hier nicht - ob es die in Finnland gibt, weiss ich nicht. Allerdings muss man dazu sagen, dass Finnlands Imigrationssituation ueberhaupt nicht mit der von Deutschland zu vergleichen ist. Hier wird mit Bedacht aufgenommen, mit nur einjährigen Visas, die bei Bedarf verlängert werden (bis nach 5 Jahren..) und und. Es gibt hier bei weitem nicht so viele Immigranten wie in Deutschland und deshalb sind Integrationsschulen auch nicht nötig.

Uebrigens bin ich ja erst seit einem halben Jahr hier, die Schule hier hat also nicht sehr viel zu meiner Persönlichkeit beigetragen ;) Nur mal am Rande...

Liebe Gruesse, Kirena
 
F

Fay

Guest
Oh-uns wurde erzählt, in Finnland gäbe es keine Noten........schön, nun weiß ich es besser.

Mit Integration meinte ich eigentlich behinderte Kinder. Ausländische Kinder in seperaten Klassen, wäre ja eigentlich auch der Gipfel :ablachen , so weit ist es bei uns glücklicherweise ja noch nicht gekommen :)
 
K

kirena

Guest
Nun, dazu kann ich leider nichts sagen.

Wie das in der Grundschule gehandhabt wird, weiss ich nicht, da ich ja hier erst an der Oberschule angfangen hab.

Es gibt hier in der Stadt ein Arbeitsprogramm fuer Behinderte. Die werden dort ausgebildet in der Schule, wenn sie mögen.

In der Grundschule kann ich mir vorstelln, dass die Kinder, soweit es nicht eine zu grosse Behinderung ist, schon in eine normale Klasse kommen, da es ja hier GANZ viele kleine Inseln gibt, auf der es jeweils nur Zwergenschulen (grundschulen) gibt. Die haben den Umfang von gut 60 Kindern meist und da glaub ich nicht, dass die Eltern das Kind extra ganz weit weg i eine Schule schicken können.


Wie das sonst in Finnland gehandhabt wird? Keine Ahnung.
Liebe Gruesse, Kirena
 
T

tuvalu

Guest
Deinen Einblick in den Schulalltag finde ich grossartig, Kirena. Man hat den Eindruck, dass Schule dort unter anderen Voraussetzungen als in Deutschland existiert.

So weit ich weiss gibt es an finnischen Grundschulen Einzelförderung für Schüler mit fachlichen Problemen. Spezielle Lehrer unterrichten dann diese Schüler in sehr kleinen Gruppen (3-5) intensiv, um ihnen den Anschluss an den Rest der Klasse zu ermöglichen. In dieser Zeit kann die Klasse allerdings keine großen Themensprünge im Unterricht machen, um nicht zu riskieren, dass die Fördergruppe nicht erneut den Anschluss verliert.
Leider sind meine Kenntnisse vom finnischen Schulsystem rein theorethisch, aber dass was ich bisher erfahren habe überzeugt mich.

Was das Schulsystem angeht, ist es interessant zu wissen, dass in den 70er Jahren finnische Experten ausgesandt wurden um ausländische Schulsysteme und die Erfahrungen damit zu analysieren. Die Ergebnisse flossen in die Reform des finnischen Schulsystems ein und prägten so die heutige Form (u.a. die 9jährige Gesamtschule). Die Reform orientierte sich an dazu Schweden und auch Deutschland, allerdings nur dem sozialistischen Teil...

Die guten Ergebnisse bei der Lesekompetenz (PISA) scheinen interessanterweise u.a. auch auf das finnische Fernsehen zurückzuführen zu sein. In Finnland werden fast alle importierten Filme (insbesondere Hollywood) mit Untertitel ausgestrahlt. Um diese zu verstehen müssen also schon die Kinder lesen.


Wenn es in Finnland nicht so kalt und dunkel wäre (ist natürlich ein reines Vorurteil ;-) ), hätten wir sicher schon ernsthafte Pläne geschmiedet nach dort umzuziehen.
 
K

kirena

Guest
Das ist kein Vorurteil ;) Es ist hier wirklich kalt und dunkel.

Mal im Ernst: Im Winter ist es kaum auszuhalten(laaaange Winter und dunkel!), im Sommer kann es so warm sein wie in Deutschland (rund 30 grad).

Das Fernsehen hat mir hier auch imponiert - und mir auch schon VIEL gebracht (sowohl fuer mein schwedisch, als auch fuer mein englisch). Am Anfang fand ichs furchtbar - und alle haben immer gelacht wenn ich erzählt hab in Deutschland gibt es nur uebersetzte Filme ;). Inzwischen hasse ich diese typischen "uebersetzungsstimmen" und mag ohne meine schwedischen untertitel garnicht mehr sein ;).

Die kleine schwester von meinem Freund guckt 10x am Tag Titantic, obwohl sie kein englisch lesen kann (auch noch kein schwedisch - ist 6) und guckt es sich trotzdem begeistert an :) Ich bin dafuer, dass auch in Deutschland zu machen..
 
F

Fay

Guest
*dafür*......das wäre wirklich lehrreich....

Ich habe schon angefangen DVD´s auf Englisch einzustellen, damit sie einen kleinen Lerneffekt haben. Das klappte übrigens gut :)


Vielen Dank nochmal kirena, für diesen tollen Einblick.

Ich hoffe wir kommen auch einmal dahin. Meine Kinder werden das wohl leider nicht mehr erleben. Ich frage mich wirklich warum Deuschland so unfähig ist, von anderen Ländern zu lernen.
 
K

kirena

Guest
Ins Ausland kann man Kinder immernoch schicken, wenn es soweit ist :)
 
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