Hallo,
"der Bürger". "Deutschland will..." - dies sind Feststellungen allgemeiner Willensbildung, die immer dann ins Gespräch eingebracht werden, wenn es um Themen wie diese geht: Lohndumping. Krankenversicherung. Integration. Aufregerthemen, eben. Man hat eine bestimmte Meinung dazu, auch wenn die nur im Glauben besteht, genau zu wissen, was "die da oben" den gesamten Tag lang tun, und weil man sich selbst als deutscher Durchschnittsmensch begreift, und jemand anderes, meist die Bild-Zeitung und / oder Thilo Sarrazin, den Anschein erweckt, der gleichen Ansicht zu sein, wird durch die publizierte Meinung die eigene Meinung zur Aussage des allgemeinen deutschen Willens.
Aber: Wenn dem tatsächlich so wäre, und alle in Deutschland genau die gleiche Meinung hätten, dann wäre alles ganz einfach. Man bräuchte einfach jemanden an der Spitze, der genau diese Meinung zur Realität macht, und könnte sich Wahlen und Politiker tatsächlich sparen.
Nur: Der Bürger, Deutschland ist mitnichten einer Meinung und das lässt sich auch am Thema Leiharbeit und Lohndumping sehen. Die einen hätten gerne mehr Geld. Einen Mindestlohn. Weniger Sozialausgaben. Andere möchten gerne weiterhin so billig wie möglich einkaufen.
Wie soll die Politik darauf reagieren?
Führt man einen Mindestlohn ein, dann steigen die Preise, denn die Ausgaben der Arbeitgeber steigen, während in anderen Bereichen Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Will heißen: Mehr Arbeitsklose mit weniger Geld in der Tasche müssten gestiegene Preise bezahlen - und auch die, die nun mehr verdienen als vorher.
Es ist überhaupt nicht so, dass sich die politischen Parteien nicht mit diesem Thema befassen. Aber es ist eben momentan so gut wie unmöglich, ein Rezept gegen die Auswüchse der Marktwirtschaft zu finden, das verhindert, dass man alles nur noch viel schlimmer macht.
Ich befürchte, dass eine solche Veränderung nur in den Köpfen der Menschen entstehen kann: Es ändert sich vor allem dann etwas, wenn möglichst viele aufhören, das Maximum für ein Minimum zu wollen, und ihr Konsumverhalten ändern - anders essen, sich anders kleiden, bewusster einkaufen.
Die momentan vorherrschende Erwartungshaltung fällt mir allerdings vor allem in einem anderen Bereich besonders auf: Der medizinischen Behandlung. Die Krankenkassenkosten in Deutschland steigen ständig, und einer der Hauptgründe dafür ist nicht, dass "die da oben" sich ständig mehr Geld in die Tasche stopfen - es liegt daran, dass die Erwartungen der Patienten selbst bei kleinen Krankheiten ständig steigen: Man fordert die gesamte Bandbreite der Diagnostik selbst bei kleineren Verletzungen, und man fordert beim kleinsten Knochenbruch eine teure Operation - und die Ärzte geben es den Patienten, weil sie ja auch daran verdienen. So sind die Kosten für die Diagnostik von simplen Verstauchungen von ein paar Euro im zweistelligen Bereich auf mehrere hundert Euro explodiert, und die Kosten für die Behandlung eines Beinbruches von ein paar hundert Euro auf ein paar tausend Euro gestiegen - wobei trotzdem niemand schneller gesund wird. Aber die Kosten von der Allgemeinheit übernommen werden, die dann wiederum darüber klagt, wenn ihr die Rechnung präsentiert wird.
Viele Grüße,
Ariel