@ HanZZ
Ich find es ein bisschen unfair den anderen vorzuwerfen, es würden keine Argumente für die Ungerechtigkeiten der Reform vorgestellt werden. Argumente wurden genannt, aber man kann sich natürlich allem gegenüber sperren, wenn man will. Tatsächlich ist diese Reform auch in der wissenschaftlichen Diskussion wenig anerkannt. Zum Beispiel wird aktuell ständig von alternativer Rentenfinanzierung gesprochen wird, der Freibetrag jedoch noch unter den bisher schon sehr dürftigen Wert gesenkt wurde. Die Folge ist, dass Leute Lebensversicherungen u.ä. auflösen müssen. Damit werden Menschen in eine Altersarmut getrieben, die Deutschland noch teuer zu stehen kommen wird.
Die Sozialpolitik als Sicherung des "Überlebens", ist natürlich schon interessant. Dieser Gedanke stammt allerding noch aus der Bismarck'schen Zeit. (naja immerhin hat der ja bei der Wahl des "Besten Deutschen" auch so gut abgeschnitten, irgendwoher musste das ja kommen). Eine Sicherung des Überlebens ist ja selbst im kapitalistischsten aller Systeme vorhanden, schließlich ist es ja blöd, wenn einem potentielle Arbeitskräfte wegsterben, weil sie nichts zu essen haben oder erfrieren.
Seit geraumer Zeit gibt es aber noch einige weitere Punkte, die mit berücksichtigt werden, wie kulturelle und soziale Bedürfnisse. Es soll ja sogar Ansichten geben, die einer gut ausgebauten Sozialpolitik eine wirtschaftsfördernde Wirkung zusprechen.
Das Beispiel Schweden kann ja wohl nicht dein Ernst sein. Die absolute Zahl aus Deutschland auf die Quote von Schweden umzumünzen und dann von 50% Arbeitslosigkeit zu sprechen, genial
In China wäre die Arbeitslosenquote dann nicht mal bei 0,4%. Das klingt doch toll. Vielleicht wirkt sich ja eine geringere Bevölkerungszahl auch auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes aus, durch die letztenden auch die sozialen Leistungen finanziert werden.
Unverständlich sind vor allem die ständigen einseitigen Vergleiche. Es wird zwar von unzählige Länder auf dem Globus gesprochen, auf denen die Situation so viel schlechter ist, aber eine Vergleich mit besser funktionieren Exemplaren abgelehnt. Das erscheint schon etwas willkürlich.
Die Definition, die du für soziale Gerechtigkeit gewählt hat, finde ich auch sehr interessant.
a) Gleichverteilung des Zugangs zu den notwendigen Grundgütern für die
individuell zu entscheidende Entfaltung von Lebenschancen.
b)Stärkung der individuellen Fähigkeiten ('capabilities'), die persönliche
Autonomie, Würde, Entscheidungsfreiheit, Lebenschancen und Optionsvielfalt
schützen, sichern und erweitern.
Das die gleiche Verteilung der Möglichkeiten für die Entfaltung der Lebenschancen ist in Deutschland also mehr als gegeben? Schwer zu glauben, dass man das auf diese Art und Weise betrachten kann. Eine solche Gleichverteilung hat es in Deutschland aus verschiedensten Gründen nie gegeben.
In der Vertieften Analyse der PISA-Ergebnisse zeigte sich zum Beispiel ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulausbildung, der so extrem in keinem der anderen Vergleichsländer vorhanden ist. Einem Arbeitkind ist natürlich ein Studium nicht versperrt, aber es hat verschiedenste Barrieren zu überwinden und ein wesentlich höheres Risiko vorher "aussortiert" zu werden. Und das ein Sozialhilfeempfänger, der z.B. noch nicht einmal Auto besitzt (da es ihm nicht gestattet ist) die gleichen Chancen auf einen Arbeitsplatz hat, dass glaubst du doch nicht wirklich, oder? In diesem Zusammenhang passt dein Bild vom sozialen Netz tatsächlich relativ gut. Schließlich kann man sich in einem Netz auch verfangen und darin hängen bleiben. Aber darin ausruhen? Bei einem Standardsatz von 300€? Naja zum Überleben reicht es ja.
Was mich aber an der gesamten im Land geführten Diskussion ärgert ist das Argument der "Schmarotzers". Selbst wenn es so wäre, dann würde es eine schädliche Wirkung für die Wirtschaft nur dann bewirken, wenn man tatsächlich all diesen "Parasiten" einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen könnte. Sind tatsächlich 5 Mio Arbeitsplätze in Deutschland potentiell besetzbar?
Ein Schaden könnte auch entstehen, wenn speziell qualifizierte Arbeitskräfte, die stark gefragt sind, sich entziehen. Aber auch dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Eine Diskussion um die Verantwortungslosigkeit dieser Menschen ist nichts weiter als politisches Geplänkel, um die Schuld für wirtschaftliche Probleme abzugeben. Eine Talkshow mit dem Thema "Keinen Bock auf Arbeit - Sponsored by Sozialamt" könnte also durchaus manchmal im Interesse der Politik sein. Alles weitere wäre aber reine Verschwörungstheorie.
Die Frage ist aber auch ob es diese "Schmarotzer" tatsächlich in diesem Maße gibt? Selbst in einem Krisengebiet wie dem Landkreis Artern, wird die Zahl derer, die widerrechtlich bestimmte Leistungen beziehen oder bezogen haben, auf höchstens 4% geschätzt (vom Sozialamt). Allerdings zählt dazu jeder Fall und mag er noch so unbedeutend sein. Und der Rest schmarotzt sich den Standardsatz und war damit wirklich clever, schließlich kann man davon leben wie Gott in Frankreich.
Interessant ist auch der Punkt der persönlichen Würde. Es werden z.B. immer häufiger bei Anträgen am Sozialamt unangekündigte Besuche in den Wohnungen durchgeführt. Dabei wird alles gesichtet, in den Kleiderschrank geschaut und einfach überall nach Anhaltspunkten gesucht. Das hat schon ein bisschen was von Generalverdacht (was ja in Deutschland verboten ist), ganz abgesehen von der Verletzung der Privatsphäre. Im Hinblick auf die Würde des Einzelnen ist das vielleicht schon ein wenig problematisch.
In diesem Zusammenhang erscheinen dann Berichte darüber, dass allein die Verwaltungsreform einen Großteil der getätigten Einsparungen verschlingen wird schon als äußerst traurig. Und da kann man es auch nicht verübeln, dass sich die Menschen beschweren wenn Millionen und Milliarden durch Fehler verschwendet werden, aber an der untersten Stelle der Bevölkerung rigeros an der Sparschraube gedreht wird.
Grundsätzlich scheint es ja hier um eine unterschiedliche Wahrnehmung der Eigenverantwortung zu gehen. Man kann natürlich realtiv leicht behaupten, dass zum Beispiel die Situation eines alleinerziehenden eine selbstverschuldete Geschichte ist. Alles eine reine Definitionsfrage. Schließlich hätte der-/diejenige kein Baby bekommen müssen /abtreiben können /den Partner nicht verlassen müssen und könnte halt allgemein weniger schlafen und mehr tun. Wenn man es unbedingt so sehen will, ich tue es jedenfalls nicht. Allerdings ist bei vielen die Situation nun mal eingetreten und sie damit allein zu lassen und sich mit einem selbstverschulden herauszureden, das ist einfach nur traurig.