Tanzkursabschlussball
Weil´s grad so schön reinpasst - ist allerdings gut zwei Jahre alt, diese Geschichte.
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Tanzkursabschlussball
Also, ich schätze mal, aufgeregt waren wir vor unserem ersten Ball alle. Und selbstverständlich wollte jede auch die Hübscheste sein. Allerdings bezweifle ich, dass wir damals einen derartigen Aufstand verursacht hatten, der unsere Mütter an den Rand eines Herzinfarktes gebracht hatte.
Meine „Kleine“, zarte fünfzehn Jahre alt, bereitete sich sage und schreibe vier Monate auf ihren Tanzkursabschlussball vor. In diesen vier Monaten bin ich um mindestens vier Jahre gealtert - und das, obwohl ich mich vor dem Kleiderkauf sowieso schon in weiser Voraussicht gedrückt hatte. Nachdem ich wochenlang die verschiedensten Abendkleider in allem möglichen Katalogen bewundern durfte und auf einen entzückten Ausruf meinerseits, dass dieses oder jenes ein wirklich reizendes Kleidchen wäre, nur ein dumpfes: „Mutter, das kann man doch nicht anziehen“ hörte, (ja, was denn dann? Sollte man es stattdessen an einen Fahnenmast binden?) schickte ich kurzerhand ihren Erzeuger mit zum Einkaufen.
Wer nun glaubt, nachdem das gute Stück erst einmal im Schrank hing, wäre Ruhe eingekehrt, der irrt. Die Robe wurde etwa 78 x täglich probiert, nicht, ohne sich dabei in allem möglichen Posen vor dem Schlafzimmerspiegel zu drehen und zu wenden und natürlich wurde es auch sämtlichen Freundinnen vorgeführt. Es wurde so oft probiert, bis schon lange vor dem grossen Auftritt ein Träger gerissen war.
So ein Abendkleid zieht unweigerlich aber noch weitere Anschaffungen nach sich, z. B. geeignete Unterwäsche, sprich ein trägerloser BH (auch, wenn noch gar nichts zum „halten“ da ist), entsprechend elegante Schuhe, (auch wenn heutige Teenager damit gar nicht laufen, geschweige denn tanzen können, steckten ihre Füßchen doch praktisch vom ersten Tag an in Turnschuhen), das passende Handtäschchen und selbstverständlich auch Schmuck. Schliesslich verträgt sich die pfundschwere Plastikarmbanduhr nicht mit eleganter Abendkleidung und der Ausschnitt brauchte auch ein anderes „Outfit“ als den üblichen, schwarzen Perlonfaden.
Die erst ein Jahr vorher zur Firmung geschenkte wirklich hübsche und teure Kollektion aus Halskette, passenden Ohrsteckern und Ring lehnt sie als „omahaft“ ab: „Mutter, wer trägt denn heute noch Goldschmuck?“ Na, ich z. B., wollte ich einwenden, doch das hätte ihrer Ansicht wohl nur noch mehr Nahrung gegeben, schließlich war ich in den Augen meiner Tochter hoffnungslos „out“. Dies hielt sie allerdings nicht davon ab, meinen Schmuckkasten einer genaueren Inspektion zu unterziehen – und siehe da, gerade die alten und sehr wertvollen Erbstücke waren überraschenderweise gar nicht „omahaft“. Aber da führte kein Weg hin, das kam gar nicht in Frage. Was folgte war eine nervenaufreibende und ziemlich lautstarke Diskussion über den Sinn von Schmuck, der Jahr und Tag in der Schublade liegt einerseits und der Achtung vor materiellem und ideellen Wert andererseits.
Bevor das Band zwischen Mutter und Tochter noch völlig entzweiriss, fanden wir ein in der Auslage eines Kaufhauses ein reizendes Schmuckset aus Silber mit aquamarinblauen Steinen. Ihr gefiel der Schmuck und mir vor allem auch der Preis und so war auch dieses Problem endlich gelöst.
Schließlich war der große Tag gekommen - und ich einem Nervenzusammenbruch nahe. Mann und Sohn hatten schlauerweise das Weite gesucht, als sich unsere Tochter bereits am Nachmittag mit ihren sieben bis vierzehn „besten“ Freundinnen unser Haus zu eigen machte. Umgezogen wurde sich im Schlafzimmer - der verdammte Spiegel, warum musste ich den damals eigentlich unbedingt haben - und das Bad wurde zum „Kosmetikstudio“. Die Düfte, die wie wahre Nebelschwaden durch das Haus zogen, liessen mich in Windeseile meine Parfümvorräte in Sicherheit bringen, ehe sich die im wahrsten Sinne des Wortes „in Luft auflösen“ würden. Meine Schminksachen räumte ich ebenfalls weg - und rückte sie nach und nach zähneknirschend wieder raus. Vom Taschengeld bezahlbare Wimperntuschen, Lidschatten und dgl. halten üblicherweise nicht, was sie versprechen. Mein Ratschlag war allerdings weniger gefragt und meine Meinung, ein junges, frisches Mädchengesicht bräuchte überhaupt kein Make-up liess mich Blicke ernten, die mich veranlassten, schon mal über einen passenden Sarg nachzudenken.
Ich beschloss also, das Jungvolk unter sich zu lassen und mich einem Buch zu widmen. Das klappte aber leider nicht; erstens war das Getuschel und Gekichere aus dem Bad unüberhörbar und zweitens musste ich da aus dringenden Grund mal selber hin. Also schmiss ich kurzerhand die ganze Bande aus dem Raum - und als meine Tochter an mir vorbeihuschte traf mich fast der Schlag. Um ein Haar hätte ich nach der Sauerstoffflasche gegriffen.- Ich muss dazusagen, dass ich etwa 42 verschiedene Lippenstifte habe. (ja, ich geb´s ja zu, auch ich leiste mir ein paar kleine Verrücktheiten.) Sie haben natürlich verschieden Farben, von hellem Rosa über Kirschrot bis zu dunklem Granatrot - aber halt alle rot - „asthmablau“ ist nicht dabei. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass Blau DIE Lippenstiftfarbe schlechthin ist und noch länger, bis ich meiner Tochter klarmachen konnte, dass sich diese Farbe absolut nicht für einen formellen Abend eignete.-
Schließlich trafen meine Männer wieder ein und belegten abwechselnd das Bad. Der Jüngere stand wenig später geschniegelt und gebügelt vor mir, tadellos mit Jackett, weissem Hemd und „Kulturstrick“ bekleidet. Der Ältere dagegen war auch mit 44 Jahren noch nicht in der Lage, eigenhändig einen Anzug aus dem Schrank zu nehmen. Damit nicht genug, verdächtigte er mich auch noch, ihm eine Hose unseres Sohnes gegeben zu haben und das nur, weil sie sich über dem Bauch nur mit äusserster Mühe schließen ließ. Dass es am Bauch lag und nicht an der Hose, kam ihm nicht in den Sinn. Ich kenne meinen Mann, legte auch gleich noch das passende Hemd und die dazugehörige Krawatte und sogar die Socken raus. Er brachte es sonst fertig, zum Anzug Tennissocken anzuziehen. Das Gezetere, welcher Idiot einst die Krawatte erfunden hatte überhörte ich, hinreichend geübt, geflissentlich.
Irgendwann an diesem denkwürdigen Tag schaffte dann auch ich noch den Weg ins Bad, duschte im Eilzugtempo, schminkte mich hastig, focht den üblichen Kampf mit meinen Haaren aus und schlüpfte schließlich in den schwarzen Seidenrock und die cremefarbene Satinbluse mit dem raffinierten Ausschnitt und dem kleinen Stehkragen aus Spitze. Ein bisserl bieder kam ich mir trotz des Ausschnitts ja schon vor, aber erstens war gar keine Zeit mehr für lange Überlegungen und schließlich war ich ja die Mutter und nicht die Hauptperson. Diese saß, nachdem die Freundinnen alle von sehr erholt aussehenden Eltern abgeholt worden waren, schon eine ganze Weile auffallend ruhig und blass auf dem Küchenstuhl und vermied jede Bewegung damit nur ja kein Stäubchen den Glanz ihrer Robe trübte. Ihr Vater sah indessen unentwegt zur Uhr ließ sich lang und breit darüber aus, dass es immer dasselbe wäre, mit den Frauen, sie würden und würden einfach nicht fertig – ich erwog insgeheim die Scheidung.
Nun ja, auch dieser Nachmittag ging vorbei und der Anblick der festlich gekleideten jungen Leute in dem stimmungsvoll dekorierten Ballsaal entschädigte mich hinreichend für die nervenaufreibende Zeit.
Doch nicht einmal das konnte ich lange genießen. Mischte sich in den Stolz doch auch sowas wie ein bisschen Wehmut. War diese hübsche junge Frau, die da im Arm eines noch etwas linkischen Jünglings so elegant durch den Saal schwebte, wirklich meine Kleine, mein süßes Baby, das ich doch praktisch gestern erst zur Welt gebracht hatte? Von dem ich noch immer die saure Milch auf meinen Blusen zu riechen meine? Dem ich doch erst kürzlich noch den Schnuller in den Mund steckte und das ich erst neulich noch die halbe Nacht herumtrug?
Wo ist das Kind geblieben, das, als es Weihnachtsplätzchen stibitzen wollte, vom Wohnzimmerregal fiel und sich dabei den Arm brach? Das Kind, welches mit wasserfestem Filzschreiber die Schlafzimmerwand mit "Lucky Luke" verzierte und uns bis heute nicht so recht verziehen hat, dass wir Jahre später das Gemälde endlich übertapezierten. Wo das blondgelockte Mädchen, das mit ihren schwarzen Kirschenaugen alle um den kleinen Finger wickelte?
Ja, das war wirklich meine Tochter, das konnte sie nämlich auch heute noch und das wird sie vermutlich auch ihr Leben lang können.
Ihr Leben lang, ihr Leben, das jetzt erst begann und es würde wirklich IHR Leben sein. Ich musste sie "loslassen", meine kleine Schnecke wird zur Frau.-