Winkelfehlsichtigkeit Teil 2
Beim Schreiben lassen sich folgende Hinweise auf Sehprobleme finden:
* Linien können nicht gehalten werden
* stark unregelmäßige Zwischenräume von Wörtern
* viele Fehler beim Abschreiben einer Vorlage
Weitere Beobachtungen
* verminderte Tiefenwahrnehmung, schlecht Bälle fangen, Probleme beiFederball, Tennis o.ä.
* die Feinmotorik scheint ungeschickt und wenig koordiniert.
* oft anrempeln oder stolpern
Mit großer Wahrscheinlichkeit sind innerhalb einer Familie mehrere Personen von diesen Problemen betroffen.
Die Akkommodation (Einstellung der Augenlinse auf die jeweilige Objektentfernung) ist ein Vorgang, der Muskelenergie benötigt. Wenn als Fehlsichtigkeit eine Übersichtigkeit (Hyperopie) vorliegt, dann ist der Gesamtbrechwert des Auges im Verhältnis zur Baulänge zu gering. Das hyperope Auge kann seine Fehlsichtigkeit ganz oder teilweise durch Akkommodation ausgleichen.
Dies kann zu Problemen wie Unschärfe, Kopfschmerzen, Augenreizungen oder Lichtempfindlichkeit führen. Abhilfe wird gelegentlich schon durch eine einfache Brillenkorrektion geschaffen.
Wenn eine refraktive Korrektion (duch eine "normale" Brille) keine Veränderung bewirkt und weiterhin visuelle Probleme bestehen, dann sind Probleme des beidäugigen Sehens zu vermuten. Unter Fusion versteht man die Verschmelzung der beiden Bilder vom rechten und linken Auge zu einem Bild im Gehirn. Die Fusion läßt sich schematisch in zwei Vorgänge unterteilen: die motorische Fusion (durch Muskelenergie ändert sich die Augenstellung) und die sensorische Fusion (allein durch Schaltvorgänge im Gehirn werden zwei unterschiedliche Bilder zu einem Bild verschmolzen).
Beim Blick in die Ferne stehen die Augen parallel zueinander. Im Idealfall sind dann alle äußeren Augenmuskeln im gleichen Spannungs- und Innervationszustand. Eine häufige Abweichung vom Idealzustand wird Winkelfehlsichtigkeit genannt: das Augenpaar will eine Ruhestellung im natürlichen Sehen einnehmen, die nicht der idealen Stellung entspricht: es entsteht ein Bildlagefehler (Goersch, H. 1996).
Typische Beschwerden aufgrund des muskulären Ausgleichens einer Winkelfehlsichtigkeit sind Ermüdung, Kopfschmerzen und/ oder Augenreizungen. Kinder mit dieser Art von Sehproblemen werden beim Lesen schon nach kurzer Zeit müde, weil sie die notwendige Kompensation nur mit größter Anstrengung bewältigen können. Diese Kinder sehen auch nicht gern fern, spielen nicht am Computer und vermeiden alle Aufgaben, die ein exaktes Nahsehen über längere Zeit erfordern, wie beispielsweise feine Bastelarbeiten.
Das Augenpaar hat aber nicht nur die motorische Fusion zur Verfügung, sondern es nutzt auch die sensorische Fusion, um bei einer Winkelfehlsichtigkeit einen Teil des Steueraufwandes zur genauen Ausrichtung beider Augen zu sparen! Je nach Größe der verborgenen Fehlstellung kann es sogar vorkommen, dass die sensorische Fusion komplett die zum Ausgleich der verborgenen Fehlstellung benötigte Muskelarbeit übernimmt. Die Anstrengungsbeschwerden werden damit zwar verringert, aber dieser Vorteil wird um den Preis vermehrter Sehunruhe und schlechterer Stereopsis erkauft. Diese Anpassung wird Fixationsdisparation genannt.
Typische Sehprobleme aufgrund einer Fixationsdisparation sind Nahsehunruhe (!), Schwierigkeiten mit Focuswechsel, schlechtes räumliches Sehen, Lichtempfindlichkeit und/ oder zeitweiliges Doppeltsehen. Diese Probleme werden im Zusammenhang mit LRS am häufigsten geäußert. Sie können isoliert oder in Verbindung mit Anstrengungsproblemen auftreten.
Je nach Methode und Lehrmeinung werden aber Störungen des beidäugigen Sehens entweder gar nicht berücksichtigt oder es wird nur der motorische Teil korrigiert. Bei Anwendung der MKH (Meß- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase) wird der motorische und der sensorische Teil der Fusion voll berücksichtigt. Damit lassen sich durch Prismengläser sowohl die Anstrengungsprobleme reduzieren, als auch die Sensorik verbessern, was durch feine Tests des räumlichen Sehens nachgewiesen werden kann.
Nach dem aktuellen Stand des Wissens ist eine gründliche Brillenkorrektion auch kleinster Fehlsichtigkeiten wichtig, da sonst nicht beurteilt werden kann, wie stark visuelle Probleme in das Gesamtbild der LRS einfließen.
Dieses Vorgehen wird auch von kompetenter fachärztlicher und orthoptischer Seite empfohlen (Oberländer und Schäfer, 1988).
Die Erfolge durch binokulare Vollkorrektion bei Legasthenie, die Pestalozzi aus seiner augenärztlichen Praxis beschreibt (1986, 1991, 1992), werden durch Studien von Lie (1989, 1993), der auch Kontrollgruppen untersuchte, vervollständigt. Es wurden auch hier optometrisch keine Unterschiede zwischen Legasthenikern und Kindern aus der Kontrollgruppe festgestellt, und in beiden Gruppen werden subjektive Symptome beschrieben.
Wenn zusätzliche Belastungsfaktoren in Wechselwirkung zu visuellen Störungen treten, können starke Probleme beim Lesen entstehen. Die Korrektion der Winkelfehlsichtigkeit hat sich in diesen Studien als ein geeignetes Verfahren erwiesen, ideale Sehfunktionen wiederherzustellen, subjektive Beschwerden zu verringern und daher die Leseleistungen zu verbessern.
Im Gegensatz zu der oben erwähnten "einfachen" Brillenkorrektionen ist zur Korrektion der Winkelfehlsichtigkeit ein höherer Aufwand an Zeit, Wissen und spezieller Ausstattung für die Messung notwendig. Gelegentlich sind innerhalb einiger Wochen oder Monate Änderungen der Stärken für bestmögliche Resultate notwendig. Durch eine sogenannte Prismenbrille lässt sich die Winkelfehlsichtigkeit korrigieren.
Die Steuerung der Blickmotorik durch das Gehirn
Auf der Suche nach einem objektiv meßbaren Kriterium im Zusammenhang mit LRS wurden Verfahren entwickelt, berührungslos mit Infrarotsensoren (siehe Foto) der hochauflösenden Videoaufnahmen auch die kleinsten Blicksprünge (Sakkaden) zu messen. Die Versuchsperson sitzt zum Beispiel vor einen Monitor, auf dem beispielsweise ein zentraler Fixierpunkt zu sehen ist. Zufällig erscheint rechts oder links davon abwechselnd ein weiterer Punkt, der angeblickt werden soll. Wenn dies einige hundert Mal geschehen ist, lassen sich die durchschnittliche Reaktionszeit und Größe der Blicksprünge errechnen.
Die neuesten Auswertungen der Forschungsergebnisse am Institut für Biophyìsik an der Universität Freiburg haben gezeigt, daß es tatsächlich eine Untergruppe von Legasthenikern gibt, die sich aufgrund ihrer Besonderheiten der Blickkontrolle von normalen Lesern unterscheiden (Biscaldi, M. 1996). Einige dieser Kinder haben vor allem Probleme mit der willentlichen Blicksteuerung oder mit Fixation, viele haben Schwierigkeiten mit der visuellen Aufmerksamkeit. Als Ursache für diese Störung werden kleinste Fehlfunktionen in bestimmten Hirnregionen (in subkortikalen und kortikalen Bereichen) vermutet. Allerdings gibt es auch einige gute Leser, die bei diesen Messungen auffällig sind.
Möglichkeiten der Therapie durch ein Training werden derzeit erprobt, die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Mit einem handlichen Gerät ähnlich einem Gameboy werden tägliche Übungen durchgeführt, bei denen die Fixation, die willkürliche Steuerung der Augen und das Lösen von einem Fixationsreiz geübt wird. Bei der Mehrzahl der bisher ausgewerteten Kinder trat ein meßbarer Trainingseffekt nach ca. 6 Wochen täglichen Übens ein.Ob damit aber eine Verbesserung beim Lesen einhergeht, wird derzeit überprüft.
Vermutlich ist die gestörte Steuerung der Blickmotorik ein eigenständiges Erscheinungsbild, das zusätzlich zu den bisher erwähnten optometrischen Problemen auftritt. Die optimale Korrektion der monokularen und binokularen Fehlsichtigkeit ist zu empfehlen, kann aber eine weitere Diagnostik oft nicht ersetzen. Für Fragen im Zusammenhang mit der Blicksteuerung wende man sich an: Prof. B. Fischer, Blicklabor, Hansastr. 9, 79104 Freiburg, Telefon 0761 - 2039536.
Interessante Homepage:
http://www.brain.uni-freiburg.de/bbl/index.htm
Gruß Ute